Nea - James erzaehlt
hohen, strahlend weißen Bücherregalen, die bis zum letzten Zentimeter gefüllt waren, thronte der gesamten Länge des Raums nach ein gewölbtes Dachfenster, das zum einen auf völlig organische Weise natürliches Licht spendete und zum anderen einen traumhaften Ausblick auf die vorbeiziehenden Wolken bot. Der Duft der vielen Bücher hing deutlich in der Luft, doch ich konnte immer noch den Geruch von frisch geschnittenem Holz ausmachen – offenbar waren die Arbeiten an diesem Teil des Nea erst vor kurzem abgeschlossen worden.
„Ich liebe es hier“, sagte Fiona verträumt und sank mit dem Hinterkopf auf die Lehne des schweren Ledersessels. „Es erinnert mich an den Lesesaal der Bristol Central Library, bloß zurückhaltender und kleiner.“
Wir saßen uns gegenüber vor einem niedrigen Beistelltisch, auf dem wir die Bücher ausgebreitet hatten, mit denen wir uns den Vormittag über beschäftigen wollten. Fiona und ich hatten uns darauf geeinigt, diese Zeit gemeinsam zu verbringen und der Einfachheit halber auf die Formalität der Anreden zu verzichten. Sie hatte diesen Vorschlag geäußert, bevor ich dazu gekommen war – ich war froh darum, denn alles andere wäre mir gezwungen und merkwürdig vorgekommen.
„Hast du in Bristol studiert?“, fragte ich.
Fiona strich sich verlegen durch die Haare. „Nein. Aber einer meiner“, sie zögerte kurz, „Begleiter hat dort gewohnt. Wenn ich konnte, bin ich immer einen Tag länger geblieben und habe gelesen.“
Leise lachte ich. „Begleiter, hm?“, zog ich sie auf.
Ohne mich anzusehen griff sie nach einem Buch und begann zu lesen; ich tat es ihr gleich. So verging eine Stunde, in der wir gemeinsam die Stille genossen, die uns umgab. Außer uns waren bloß zwei andere Gäste in der Bibliothek, die weit entfernt in Büchern blätterten.
Dann sagte Fiona auf einmal: „,Keine Unterwerfung ist so vollkommen wie die, die den Anschein der Freiheit wahrt. Damit lässt sich selbst der Wille gefangen nehmen.‘ Das passt ja.“
Versunken in Steinbecks Of Mice And Men – einem dieser Texte, zu denen ich immer wieder zurückkehren konnte und wollte – murmelte ich bloß: „ Emile von Rousseau?“
„In der Tat“, antwortete sie mit überraschtem Tonfall. Ich hob den Kopf und sah sofort ihr wissendes Lächeln. „Lektüre in einem dieser merkwürdigen Seminare, die überhaupt nichts mit dem Hauptfach zu tun hatten und trotzdem Pflichtkurse waren, nicht wahr?“
Lachend nickte ich. „Erwischt!“
„Alles andere hätte ich dir auch nicht geglaubt!“, grinste sie. „Emile war doch ein Junge, oder?“
„Ja – wenn ich mich richtig erinnere, beschreibt das Ganze Rousseaus Vorstellung der idealen Erziehung.“
Gequält verzog Fiona das Gesicht. „Dann passt es wohl doch nicht ganz so gut hierhin wie ich gedacht habe. Dabei klang es eigentlich sehr vielversprechend: Hier steht, die eigentliche Kunst der Erziehung besteht für ihn darin, dass der Wille des Zöglings mit dem des Erziehers übereinstimmt.“
Schmunzelnd sagte ich: „Ziehen wir gerade wirklich Parallelen zwischen einer pädagogischen Abhandlung und SM?“
Fiona antwortete kichernd: „Ja, das machen wir. Aber ich finde das gerade sehr spaßig – warum also nicht?“
„In Ordnung. Es ist allerdings wirklich schon eine Weile her, dass ich mich damit beschäftigen musste, also kann es sein, dass ich absoluten Quatsch erzähle.“ Amüsiert dachte ich kurz nach. „Ich glaube, die Übereinstimmung des Willens zwischen Erzieher und Zögling soll dadurch passieren, dass der Zögling glaubt, entscheiden zu können, während es im Hintergrund der Erzieher für ihn macht.“
Fiona überflog schnell einige Zeilen im aufgeschlagenen Buch auf ihrem Schoß. „Nicht übel, der Herr. Das wiederum ist natürlich das exakte Gegenteil von dem Spielchen, das wir hier alle so gern spielen; wirklich versteckt und hintergründig sind die Machtverhältnisse dabei nun wirklich nicht.“
„Man könnte es schon so sehen, immerhin tun wir Doms ja nur das, was ihr Subs eigentlich wollt – habt ihr etwa in Wahrheit uns in der Hand?“
Fiona lachte leise. „Jetzt hast du uns durchschaut, das ist alles ein perfekt geplanter Plot der großen Sub-Vereinigung!“ Wieder sah sie kurz ins Buch. „Auch nicht schlecht ist die Passage darüber, dass Rousseau der Meinung war, Menschen seien nur in kleinen, geschlossenen Gemeinschaften dazu fähig, sich so zu entfalten wie sie eigentlich sind. Lässt sich
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