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Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Wenn ich dann beschrieb, wo ich war …
    Mach schon, befahl ich mir.
    Ich drückte den Knopf, gab den PIN ein und wartete nervös, bis das Ding endlich hochgefahren war. Niemals zuvor war mir dieser Vorgang so lang vorgekommen.
    Ich tippte Juttas Nummer und wartete auf das Klingelzeichen. Es tutete zweimal, dreimal, viermal.
    Verdammt, auch das noch. Der Anrufbeantworter. Juttas Stimme vom Band.
    Sie sagte: »Der späte Abend / lässt viele Menschen wachen / doch Jutta ist fort.«
    Dann piepste es, und die Verbindung war unterbrochen.

6. Kapitel
    Ich starrte noch immer mein tutendes Handy an. Keine Ahnung, wie dämlich das Gesicht war, das ich in diesem Moment machte.
    Ich drückte die Wahlwiederholung, weil ich an eine akustische Halluzination glaubte. Aber alles lief noch einmal genauso ab. Juttas seltsamer Spruch, danach Getute. Man konnte nichts auf dem AB hinterlassen.        
    Ich erwachte aus meinem Schock, sah mich um und bemerkte von Erkrath aus wieder herannahende Fahrzeuge. Gleich vier hintereinander. Ich blieb von der Straße weg. Kaum waren die Autos in der Ferne verschwunden, raste ein neues Geräusch heran. Es kam aus der Gegend hinter mir, von den Bahnschienen. Wieder ein Zug. Ich hatte bei meiner Flucht über die Schienen verdammtes Glück gehabt.
    Mühsam blätterte ich durch das Nummernverzeichnis des Handys und suchte Juttas Mobilnummer. Was war mit ihr los?
    Auf die grüne Taste drücken. Warten.
    Ein Glück. Es klingelte. Das Handy war also an.
    Ein kurzes Knacken, ein Rauschen, dann sagte Jutta: »Müdigkeit atmet / verbrauchte Stunden der Nacht / bis zur Erschöpfung.«
    »Verdammte Scheiße!«, schrie ich auf das Feld hinaus und hätte mein Mobiltelefon am liebsten in die Landschaft geworfen. »Jutta, was soll der Mist?«
    »Remi, bist du das?«
    Ich kam zur Besinnung. »Jutta? … Ist das nicht dein AB?«
    »Ferne Gespräche / bringen durch weiten Äther / dir frohe Kunde.«
    Ich war zu benommen, um dahinterzusteigen, was diese rätselhaften Sätze zu bedeuten hatten.
    »Kannst du bitte normal mit mir reden?«
    »Ich rede zu dir / wie der Wind zu den Blumen / zur Sonne das Licht.«
    »Hör mal, ich stecke in großen Schwierigkeiten, und ich kann nicht lange sprechen. Ich stehe hier bei Erkrath auf der Straße. Hol mich bitte ab. Und sei vorsichtig. Die Polizei ist hinter mir her.«
    »Wer die Gefahr liebt / bricht auf in heikle Wasser / liebt auch die Rückkehr.«
    Endlich dämmerte mir ein verborgener Sinn hinter diesem Geschwafel. »Genau«, rief ich. »Gefahr! Jetzt komm endlich!«
    Bevor sie mir einen weiteren verquasten Sinnspruch hinterherschicken konnte, ratterte ich eine möglichst genaue Standortbeschreibung herunter und drückte den roten Knopf. Ob sie alles mitgekriegt hatte?
    Eine Stunde würde ich warten, sagte ich mir. Wenn sie bis dahin nicht aufgetaucht war, ging ich eben zu Fuß nach Hause.
    Wie weit das wohl war bis Wuppertal? Zwanzig Kilometer? Fünfundzwanzig?
    Eine Wanderung von etwa fünf Stunden.
    Egal, dachte ich verzweifelt. Was verpasst du schon groß diese Nacht? Du hast ja Zeit…
    *
    Fünfundfünfzig Minuten später hatte ich die Hoffnung fast aufgegeben. Zum Glück war mein Platz im Feld ein gutes Versteck. Ich stand zwar völlig frei in der Gegend herum, aber im Dunkeln, und dabei hatte ich prächtige Sicht auf die Straße. Hin und wieder kamen Autos vorbei, einmal sogar ein Streifenwagen, aber keiner hielt an. Die Scheinwerfer streiften die Ackerfläche nicht. Ich blieb unentdeckt.
    Schließlich näherte sich von Osten her ein kleines röhrendes Auto mit Stupsnase und runden Lichtern. Wenn die Vorderfront des Wagens ein Gesicht gewesen wäre, hätte es einen Ausdruck von verdutztem Erstaunen besessen. Der seltsame Wagen rollte aus und stoppte an der Abzweigung eines kleinen Feldweges. Der Motor erstarb. Das Abblendlicht leuchtete noch. Jemand stieg aus, stellte sich in den Lichtkegel und sah sich suchend um. Es war Jutta. Ich lief ihr entgegen. 
    »Mensch, Remi! Hier bist du also. Ich hab versucht, dich auf dem Handy zu erreichen, aber du hast es ja gar nicht eingeschaltet. Wozu hast du so ein Ding, wenn du es nicht auf Empfang stellst?«
    »Ein Glück, dass du wieder normal redest. Komm, lass uns abhauen. Ich erklär dir, worum es geht.«
    Sie startete den Motor. Ich brauchte noch einen Moment, bis ich mich in das enge Gefährt gearbeitet hatte.
    Man kann Jutta einiges nachsagen - zum Beispiel eine gewisse Eigenwilligkeit, die bei intelligenten und

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