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Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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ich.
    »Die werden doch meine Wohnung nicht durchsuchen? Ich meine, dann hat es eh keinen Sinn, dass du dich bei mir versteckst.«
    Ich kratzte mein polizeiliches Wissen zusammen. »Sie haben sicher keinen Durchsuchungsbeschluss. Hoffe ich zumindest.«
    »Versuchen wir’s. Steig aus, ich fahre zurück.«
    »Und ich?«
    »Du kommst hinten rum durch den Wald. Das hatten wir ja schon öfter. Der Weg zur Wahrheit / liegt abseits des sichtbaren / für die Verfolger.«
    »Dafür hätte ich auch gerne nachher eine Erklärung«, sagte ich. Dann rannte ich hinaus auf die Straße und lief den Nützenberg hinauf.

7. Kapitel
    »Haikus?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Was für Haikus?«
    Ich war durch den Wald gelaufen, über den Jägerzaun auf der hinteren Seite von Juttas Grundstück geklettert, und sie hatte mir die Terrassentür geöffnet. Jetzt saß ich in Juttas Wohnzimmer, auf dessen Fläche meine ganze Wohnung Platz gehabt hätte. Hinter der großen Panoramascheibe funkelten die Lichter der Stadt.
    »Meine Güte, habt ihr denn früher gar nichts in der Schule gelernt? Ein Haiku ist eine sehr konzentrierte, kurze Gedichtform, die aus Japan stammt. Sie verlangt dem Dichter höchste Sprachgewandtheit ab.«
    Jutta schob mir eine geöffnete Flasche Bier hin. Kein Glas. Sie wusste, dass ich keins brauchte. Ich nahm einen Schluck.
    »Du meinst, die Sprüche, die du losgelassen hast, waren Gedichte?«
    »Du bist ein Ignorant, Remi. Was hast du denn gedacht?« Sie hob ihr Glas, in dem Rotwein schimmerte.
    »Keine Ahnung. Irgendein Quatsch halt.«
    »Jetzt pass mal auf: Ein Haiku erfordert absolute Meisterschaft. Die Regeln sind gnadenlos. Es besteht aus drei Zeilen und jede Zeile aus einer bestimmten Silbenanzahl.«
    »Sehr harte Regeln«, stellte ich lakonisch fest.
    »Erste Zeile fünf Silben, zweite Zeile sieben Silben, dritte Zeile wieder fünf.«
    »Das ist alles? Keine Reime?«
    »Nein, das ist nicht alles. Es gibt noch jede Menge feinere Regeln, aber ich glaube, bei dir trifft der Spruch mit den Perlen und den Säuen zu.«
    Ich stellte die Flasche ab. »Entschuldige, aber ich habe jetzt wirklich andere Probleme. Wie bist du eigentlich die Leute von der Polizei losgeworden?«
    »Wer sucht den Flüchtling / in der Weite der Städte / findet sich selbst nur.« Jutta lächelte.        
    »Das hast du ihnen gesagt?«
    »Unschuld ist einsam / Schuld ist im Dunkel versteckt / Ich liebe das Licht.«
    »Kein Wunder, dass sie den Abflug gemacht haben. Sie holen wahrscheinlich gerade die weiß gekleideten Männer mit den Zwangsjacken.«
    »Siehst du, meine Haikudichtung ist doch zu was nütze.«
    »Du willst also der Frau aus der Sadowastraße 7 Konkurrenz machen?«
    Jutta runzelte die Stirn. Ha, dachte ich. Sie weiß mit der Adresse nichts anzufangen!
    »Ertappt!«, rief ich. »Erzähl du mir noch mal was von Bildung.«
    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, das meinst du. Sadowastraße 7. Das Haus, wo Else Lasker-Schüler aufgewachsen ist.«
    »Kein halber Kilometer von hier entfernt. Vielleicht kann Wuppertal ja demnächst auf zwei große Dichterinnen verweisen.«
    »Ach Quatsch. Es geht nicht darum, große Werke zu verfassen. Wir sind ein Club. Wir treffen uns und tragen unsere Haikus vor. Das ist alles. Es ist eine Art Meditation. Meditation durch Konzentration aufs Wesentliche.«
    »Aha.«
    »Und dort hast du mich auch am Handy aufgestöbert.«
    Ich trank noch einen Schluck. Mein Magen fühlte sich seltsam an. Als stecke ein raues Stück Fels darin. Das Bier machte es nur noch schlimmer. Ich tippte auf Hunger.
    »Meinst du, ich könnte mir ein Brot machen?«, fragte ich.
    »Klar.«
    »Und dann machen wir das, was du mit deinen Dichterfreunden tust.«
    »Wir lesen uns was vor?«
    »Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche. Wie ich mich aus dem Schlamassel befreie. Auch wenn du jetzt mit literarischen Arbeiten beschäftigt bist - gegen einen neuen Fall hast du doch sicher nichts einzuwenden.«
    Das hatte Jutta nie. Seit ich als Privatdetektiv tätig war, mischte sie sich in meine Arbeit ein - ob ich ihre Hilfe nötig hatte oder nicht. Bei allen Spleens, die Jutta schon im Rahmen ihrer durch Reichtum gefütterten Langeweile an den Tag gelegt hatte - Klavierunterricht, vorübergehende Arbeit als Radioreporterin, als Fremdenführerin oder Eventorganisatorin für Partys und Feste der oberen Zehntausend -, hatte sie doch daran immer noch den meisten Spaß. Und sie blühte dabei richtig auf. Biologisch war

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