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Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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sagen. Ich ließ den Vorhang hinter mir und war sofort von Finsternis umgeben.
    Was war das hier? War der Mann verrückt und zeigte mir jetzt eine Folterkammer mit ein paar Leichen?
    Selbst wenn das alles eine Finte war und er hinter Krügers Mord steckte - er konnte ihn nicht selbst verübt haben. Wie hätte er das im Rollstuhl schaffen sollen? Oder spielte er die Behinderung nur und war in Wirklichkeit gesund? Aber was hatte dann der Aufzug in seinem Haus zu suchen? War der Mann überhaupt Nevada-King?
    Abgedrehte Gedanken - das gebe ich zu. Aber so etwas fliegt einen manchmal an, wenn man durch absolute Finsternis geht. Meine Füße ertasteten weichen Teppichboden.
    »Ah, da sind Sie ja«, sagte Müller. »Ihre Augen werden sich gleich an die Dunkelheit gewöhnt haben. Suchen Sie sich bitte einen Platz.«
    Ich erahnte irgendetwas neben mir und ertastete Samt. Eine gepolsterte Sitzfläche zum Ausklappen.
    »Sitzen Sie bequem?«
    Ich hatte es geschafft, mich in den Stuhl zu quetschen. »Ja, vielen Dank«, gab ich zurück.
    »Dann geht’s jetzt los.« In seiner Stimme lag die Begeisterung, mit der ein Achtjähriger seine Carrerabahn vorführt. Oder sein Computerspiel.
    Hinter uns kam irgendetwas in Gang. Ein knatternder Motor. Etwas warf einen Lichtstrahl nach vorn auf eine große Leinwand.
    Natürlich, dachte ich. Darauf hätte ich kommen können. Müller war ein Kinofan. Und das hier war seine Spielwiese. Sein Privatkino.
    Der Film wurde dunkel, Zahlen erschienen und zählten schnell abwärts. Bombastische Musik setzte ein. Das Warner-Logo erschien in Schwarz-Weiß, und dann waren da zwei Schatten auf der Leinwand - ein Mann und eine Frau. Der Mann gab der Frau Feuer; in diesen alten Streifen wurde noch geraucht, was die Lungen hielten. Weiße Schrift vor den Silhouetten verriet, wer die Hauptdarsteller waren: Humphrey Bogart und Lauren Bacall. Und jetzt erfuhr man, von schicksalhaften Blechbläserklängen umtost, wie der Film hieß: »The Big Sleep«. Der große Schlaf.
    Wunderbar, dachte ich. Musste ich jetzt mit Müller den ganzen Film ansehen, bevor ich ihm weitere Fragen stellen konnte? Ich wandte den Kopf. Nevada-King saß in seinem Rollstuhl im Geflacker des Schwarz-Weiß-Spektakels hinter den Stuhlreihen. Sein Gesicht leuchtete gespenstisch.
    Ich fragte mich, wozu er sich die Mühe gemacht hatte, überhaupt original Kinostühle hier anzubringen. Lud er manchmal seine Kumpels aus der guten alten Spielcasino-Zeit ein? Und sie machten sich einen netten Filmabend?
    Nein, überlegte ich. Müller war ein einsamer Mann. Er brauchte die Kinobestuhlung und das ganze Drum und Dran für die Atmosphäre. Er hatte sich damit einen Traum erfüllt.
    Ich sah Humphrey Bogart als Privatschnüffler Marlowe das Haus eines Millionärs betreten. Ich konnte mir vorstellen, wie er sich fühlte. Das musste ein großer Moment sein. Er wurde erwartet. Vom Butler in das Haus geführt. Man schenkte ihm teure Getränke ein.        
    Wie alt war der Film? Fünfzig Jahre? Sechzig? Damals liefen die Privatdetektive in ordentlichen grauen Anzügen herum. Sie trugen Hut, Krawatte und natürlich ein weißes Hemd.
    Müller war ein Cineast. Mit Synchronisationen gab er sich nicht zufrieden. Ich folgte eine Weile den englischen Dialogen. Als Detektiv Marlowe endlich seinem Auftraggeber gegenübersaß, der wie Müller auf den Rollstuhl angewiesen war, wurde es mir zu viel.
    »Herr Müller«, rief ich zu ihm hinüber. »Können wir uns nicht erst mal weiterunterhalten und dann Filme gucken?«
    »Schscht«, kam es ärgerlich zurück. Ganz wie im wirklichen Kinoleben.
    Ich stand auf und ging vor den Stuhlreihen auf die andere Seite. Müller ignorierte mich. Er starrte auf die Leinwand und wirkte wie hypnotisiert.
    »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte ich in eine Dialogzeile von Bogart hinein. »Und ich habe wie gesagt nicht viel Zeit.«
    Eine seltsame Situation: Auf der Leinwand mühte sich ein erfundener Detektiv ab, einen Fall zu lösen. Und der faszinierte einen wichtigen Zeugen oder zumindest einen Informanten so sehr, dass der nicht mit einem echten Detektiv reden wollte, der gerade dringend etwas von ihm wissen wollte.
    Auf der Leinwand hatte Marlowe das Gespräch mit dem Auftraggeber beendet und sprach jetzt mit dem Butler. Entweder trog mich mein Englisch, oder der Hausdiener erklärte dem Detektiv im Moment tatsächlich, dass er befugt sei, ihm einen Scheck in beliebiger Höhe auszustellen. Das hätte ich auch gerne mal erlebt!
    Ich

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