Neandermord
die in der Sonne glänzten.
Ich zog eine Zigarette hervor und rauchte.
Acht Minuten. Mir kam es schon vor wie Stunden.
Als niemand hinsah, warf ich die Kippe auf den Boden und trat sie aus.
Zwölf Minuten.
Was hatte Jutta gesagt? Das Handy auf Empfang.
Weitere Fahrgäste kamen. Sie beachteten mich nicht. Ich versuchte herauszufinden, ob es sich um Zivilfahnder handeln könnte, aber da musste ich mir keine Sorgen machen. Wenn die Polizei ihre Leute nicht neuerdings aus fünfzehnjährigen aufgedonnerten Mädels mit iPod im Ohr oder siebzigjährigen Damen rekrutierte, war ich in Sicherheit.
Ich ging ein paar Schritte und tippte auf mein Handy.
Kein Anruf.
Fünfzehn Minuten.
Jetzt tat sich etwas auf dem Parkplatz. Ein Mann mit kurzärmeligem Hemd stieg in einen Wagen. Das heißt, er wollte einsteigen, aber kaum spürte er, wie heiß es darin war, richtete er sich wieder auf und blieb einen Moment neben der geöffneten Tür stehen.
Als er schließlich wegfuhr, war Jutta exakt zwanzig Minuten weg.
Es musste etwas schiefgegangen sein.
Ich musste dorthin. Auf einem anderen Weg. Vielleicht über den Friedhof, auf den man sicher auch noch über einen anderen Eingang gelangte.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ein Motor zu hören war. Ich hob den Blick und wartete, was passieren würde. Ein Fahrzeug schoss aus der Allee hervor. Ein Van. Rundherum geschlossen. Ich konnte kein Nummernschild erkennen. In der Fahrerkabine war bestenfalls ein Schatten zu sehen.
Der Fahrer gab ordentlich Gas und heizte mit mindestens achtzig Sachen über den Platz. Sogar die Fünfzehnjährige mit iPod drehte den Kopf und sah hinüber. Das Silbermetallic des Wagens blitzte in der Sonne. Dann bog er in Richtung Hauptstraße. Die Reifen quietschten.
Ein, zwei Sekunden war ich wie erstarrt.
Jutta, dachte ich. Da ist Jutta drin.
Ich rannte in Richtung der Treppe und überquerte dann im Sprint den Parkplatz - wahrscheinlich die Blicke der Leute auf dem Bahnsteig im Rücken, aber das war mir egal.
Das Loch der Allee kam auf mich zu. Ich tauchte in den Schatten ein und rannte weiter, während mir jäh aufflammendes Seitenstechen zu schaffen machte. Ein Backsteinhaus wurde sichtbar. Friedhofsgärtnerei Wendling. Die Friedhofsmauer. Ein Gittertor. Weiter unten der Wanderparkplatz mit verzweigten Durchfahrten, von dichten, hoch bewachsenen Grünstreifen durchsetzt.
Ich stoppte und schnappte nach Luft. Ich war so nass von Schweiß, als hätte ich geduscht.
Niemand.
Nur ein paar abgestellte Autos, deren Farben durch die Büsche schimmerten.
Ein großartiges Versteck. Eine ganze Hundertschaft der Polizei konnte jeden Moment über mich herfallen.
Ich zuckte zusammen, als sich ein sausendes Geräusch näherte. Ein Radfahrer. Er legte sich in die Kurve und folgte dann der schmalen Straße, die den Parkplatz in Richtung Neandertal verließ.
Ich suchte den ganzen Weg an den Autos entlang ab, bis ich sicher war, dass sich hier niemand versteckte. Dann sah ich mich auf dem Weg ins Tal um. Er führte schnurgerade durch Felder mit gelbem Korn. Keine Spur von Jutta.
Ratlos blieb ich stehen. Leichter Wind kühlte meinen Schweiß.
Dann sah ich zwischen den ersten Ären etwas Silbernes am Boden liegen. Noch bevor ich es aufhob, wusste ich, was es war.
Juttas Handy.
Es war aufgeklappt. Ich wollte es schon schließen, da fiel mir etwas an dem Display auf. Jutta hatte anscheinend begonnen, eine SMS zu schreiben.
Sie war nicht weit gekommen. Acht Buchstaben hatte sie eingeben können: REMI HILF
*
Mein Kopf wollte krampfhaft entscheiden, was ich nun machen sollte, aber ich stand nur da und blickte in die Landschaft. Keine Idee regte sich, und immer, wenn ich versuchte, einen Ansatz zu finden, versank er wieder in einem Haufen bunter Einzelteile. Als hätte ich ein riesiges Puzzle vor mir und man hätte mir die Aufgabe gegeben, es innerhalb von zwei Minuten zusammenzusetzen.
Juttas Handy vibrierte in meiner Hand. Das Display mit dem kurzen Hilferuf verwandelte sich. Plötzlich stand da: »Eingehender Anruf. Nummer unbekannt«.
Ich wusste, wer dran war.
»Du tust jetzt, was ich sage.«
»Was ist mit Jutta?«
»Noch mal: Du tust, was ich sage. Lass das Handy an.«
»Was ist mit dem Hinweis?«, rief ich. »Sie wollten mir einen Hinweis geben.« Mir wurde klar, wie dämlich das klang. Natürlich gab es keinen Hinweis. Natürlich wollte der Mörder mir nicht helfen.
Er lachte böse. Dann legte er auf.
Ich versuchte wieder, mein Gehirn
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