Neandermord
Wörtern wurde die Verbindung unterbrochen.
Ruhig bleiben! Du hast eine Frist, Rott.
Ich steckte das Handy weg und sah Rath an.
»Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?«, fragte er.
Ich nickte. »Ihr Großvater hat davon geträumt, einen Neandertaler zu finden. Knochen eines Neandertalers.«
Rath strahlte. »Genau. Und mein Vater behauptete immer, es sei meinem Großvater gelungen.«
»Moment. Was meinen Sie denn damit?«
Rath sprach langsamer, als müsste er einem Erstklässler etwas klarmachen. »Haben Sie keine Familiengeschichten? Kleine Legenden, die man sich im Familienkreis erzählt? Die immer wieder hervorgekramt werden, wenn man sich zu Hochzeiten oder Beerdigungen trifft?«
»Doch, doch. So was kenne ich.«
»Niemand hat aber je Beweise gesehen. Ich selbst habe meinen Vater kaum kennengelernt. Er war im Ersten und im Zweiten Weltkrieg und blieb dann in Russland. Es ist eine Familienlegende. Und als Sie und Ihre Kollegin hier waren, da dachte ich, ich würde der Schroffbach gönnen, dass ihre Bagger die Knochen eines Neandertalers ausgraben.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Was ging im Hirn dieses alten Mannes vor?
»Das verstehe ich nicht. Sie würden ihr diesen Ruhm gönnen? Wo sie Sie doch übers Ohr gehauen hat?«
Raths Gesicht verzog sich zu einer faltigen Rosine. Er lächelte.
»Wer redet hier von Ruhm?«
»Aber das Ganze würde durch die Presse gehen und …«
»So was kann einen Bauunternehmer ganz schön in Schwierigkeiten bringen. So ein Fund ist meldepflichtig. Da kommen dann Leute von irgendwelchen Ämtern, untersuchen den Boden, stellen die Relikte sicher… Sie wissen schon. Und was steht am Ende ? Baustopp. Vielleicht auf unbestimmte Zeit. Das hätte ich der Schroffbach gegönnt. Heimat. Dieser Boden ist Heimat, verstehen Sie? Und er war schon die Heimat dieser Urmenschen. So etwas muss man doch respektieren …«
Ich stand auf und verabschiedete mich hastig.
»Grüßen Sie mir Ihre Kollegin«, sagte Rath. »Und trauen Sie sich bei der mal was. Sie haben Chancen. Glauben Sie einem alten Mann.«
Ich verließ das Zimmer, stieß auf dem Flur fast mit der Schwester zusammen, die mich vorhin abgefangen hatte, und rannte die Treppe hinunter. Endlich war ich am Wagen. Ich lenkte ihn mit links aus der Lücke, mit rechts haute ich den Gang rein, und als ich auf der Hauptstraße war und vor einer grünen Ampel Gas gab, tippte ich die Nummer der Auskunft ins Handy. Zwei Minuten später hatte ich die Adresse der Baufirma Kotten in Wuppertal.
26. Kapitel
Ich folgte einer langen Straße, an der sich links und rechts einzelne Firmengelände aufreihten. Ich passierte eine Bandweberei, eine Spedition, einen Verkauf von Holz- und Eisenwaren, eine Bushaltestelle. In jedem dritten Logo kam das Wort »Logistics« vor. An einigen Abschnitten des langen Seitenstreifens parkten Lkw-Zugmaschinen.
Um zur Firma Kotten zu gelangen, musste man von der Otto-Hahn-Straße abbiegen. Ein Schild wies den Weg zu einem Wendehammer. Hinter einer hohen Umzäunung standen auf einem riesigen Parkplatz ein paar dreckige Laster, dahinter erhoben sich wie zwei gigantische graue Kartons Betongebäude. Neben der kleinen Tür in einem der Gebäude hing ein Schild. Vom Zaun aus konnte ich in der einbrechenden Dämmerung gerade noch den Schriftzug »Büro« erkennen. Die Fenster waren dunkel. Es war längst Feierabend.
Ich rüttelte an dem Tor, obwohl es mit Kette und Vorhängeschloss gesichert war. Wütend kickte ich einen Kiesel zur Seite. Ich sah auf die Uhr: Von der Stunde blieben noch gut zwanzig Minuten.
Mit der Helligkeit schienen auch meine Chancen zu schwinden, diesen Fall zu lösen.
Ich hatte den Gedanken bisher verdrängt, aber jetzt zwang ich mich, mir einzugestehen, warum sich der Unbekannte überhaupt auf diese Entführung eingelassen hatte. Ihm musste klar geworden sein, dass ich der Polizei nicht so leicht ins Netz ginge, wie er sich das gedacht hatte. Er brauchte ein neues Druckmittel. Und das bekam er nur, wenn er mir ein weiteres Verbrechen in die Schuhe schieben konnte.
Erst Krüger, dann Nevada-King. Und jetzt Jutta.
Eiseskälte breitete sich auf meiner Haut aus. Ich packte die Stäbe des Zauns und verpasste ihm einen wütenden Tritt, als ob ich bereits im Knast säße.
Er würde Jutta ermorden. Er würde Jutta ermorden, und er würde auch mich ermorden, wenn er mich beim nächsten Treffen zu fassen bekäme. In … ich sah wieder auf die Uhr. In achtzehn Minuten, wenn er pünktlich
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