Neandermord
klaren Gedanken zu fassen. Ich wusste nur eins: Ich war auf diesem Scheißflughafen eindeutig falsch.
Mach, dass du wegkommst!, schrie es in mir. Bevor dich jemand vom Sicherheitspersonal erkennt.
Ich ließ meinen Blick noch einmal über die Schlange der Reisenden gleiten, denen nun ein schöner Urlaub bevorstand. Wo lag die Domrep überhaupt? In der Karibik? In der Südsee? Keine Ahnung. Es war auch egal. Ich würde dort ohnehin nie hinkommen.
Immer noch keine Kottens in Sicht.
Zurück zum Wagen, befahl ich mir.
Ich wandte mich in Richtung Ausgang, der in der Mitte der Halle lag.
Und da sah ich sie.
*
Kotten im quietschgelben T-Shirt. Vor ihm eine alt aussehende Frau. Zwei Kinder, höchstens zehn Jahre alt. Sie saßen am Tisch eines Mitteldings aus Schnellrestaurant und Café und hatten offenbar gerade etwas gegessen. Noch mal deutsche Nahrung zu sich nehmen, ehe es auf die große Reise ging.
Ich sah mich um. Keiner der Blauhemden war in der Nähe. Ich drückte mich an einer der riesigen Palmen vorbei, die in der Halle den Eindruck von Urlaub schon vor der Abreise vermitteln sollten, und schoss aus einem Winkel auf die Familie zu, aus dem mich Kotten nicht kommen sah.
Ich quetschte mich an den Tisch.
Kotten war so baff, dass er mich nur anstarrte.
Seine Frau reagierte schneller.
»Was soll das denn, Sie Flegel?«
Sie presste ihre Lippen aufeinander, sodass ihr Gesicht unten noch faltiger wurde, und mimte ganz die entrüstete Unternehmergattin. Die Kinder sahen mich mit großen Augen an und schwiegen. Erst jetzt erkannte ich, dass die beiden Mädchen Zwillinge sein mussten.
»Verzeihen Sie vielmals«, sagte ich. »Ich habe beruflich mit Ihrem Mann zu tun. Wir müssen etwas besprechen.«
»Wir haben Urlaub«, keifte sie und sah ihren Mann und dann wieder mich an.
»Lass mal, Hanna«, sagte Kotten. Und dann zu mir: »Ich kann mich nicht erinnern, Sie jemals gesehen zu haben.«
»Wir hatten heute auf der Baustelle das Vergnügen. Ich denke, Sie erinnern sich.«
Damit war sein ganzer Widerstand verpufft. Ihm blieb nur noch zu schweigen. Doch dann hatte er die Doofheit, mich zu fragen: »So ein Zufall. Fahren Sie auch in Urlaub?«
»Mal sehen«, sagte ich. »Der Appetit kommt beim Essen. Und wenn man hier so unter Urlaubern ist, könnte man schon Lust zum Verreisen kriegen.«
»Martin, wer ist das?«, schaltete sich Kottens Frau ein.
Auf der Stirn des Bauunternehmers erschienen Schweißtropfen. Er wich meinem Blick aus. Eins von den Kindern fragte: »Wie heißt du?«
»Remi«, sagte ich. »Ich heiße Remi.«
Kottens Frau starrte zu ihrem Ehemann hinüber - mit einem Gesichtsausdruck, als wolle sie ihm gleich die bevorstehende Scheidung mitteilen. Hinter ihrem maskenhaften Gesicht arbeitete es, und schließlich war sie es, die die Flucht nach vorn antrat.
»Wir müssen dann mal zum Flieger, Herr … Remi.« Sie versuchte aufzustehen, aber ich legte sanft meine Hand auf ihre Schulter.
»Sie haben noch Zeit«, erklärte ich lächelnd.
Der entrüstete Gesichtsausdruck war in Sekundenschnelle wieder da, und jetzt sah sie erneut ihren Mann an. »Martin, jetzt sag doch was. Wer ist dieser Mensch?«
Endlich raffte sich Kotten auf, etwas Konstruktives zu sagen. »Was wollen Sie? Sie sind Journalist, oder?«
»Eher oder«, sagte ich.
»Was soll das alles heißen?«, keifte die Frau. Ganz der Hausdrache.
»Könnten Sie bitte mal aufhören, dazwischenzuquaken?«, fuhr ich sie an. Sie schwieg pikiert. »Und jetzt die Antwort: Das soll heißen, dass Sie heute nicht in Ferien fahren. Zumindest Ihr Mann nicht.«
»Martin, was heißt das? Was sagt der Mann da?«
»Klappe«, rief ich.
»Keine Ahnung«, behauptete Kotten, aber es war ihm deutlich anzusehen, dass er log. Er strengte sich an, seiner Stimme etwas Autorität zu geben. »Und Sie machen sich jetzt vom Acker, ist das klar? Ich hole sonst die Polizei.« Als ob er mir auch mit seinen Gesten drohen wollte, sah er sich hektisch um.
»Also gut«, sagte ich. »Da Sie ja behaupten, Sie hätten keine Ahnung, worum es hier geht, kläre ich Sie auf. Zuerst mal: Mein Name ist Rott, und ich ermittle in einem Mordfall, von dem Sie sicher gehört haben. Es geht um den toten Polizeikommissar aus dem Neandertal. Die Spur führt genau auf Ihre Baustelle, Herr Kotten. Frau Schroffbach ist die Exfrau des Kommissars.«
Er runzelte die Stirn und sah dabei den vollgekrümelten Teller an. »Na und?«, rief er. »Was habe ich damit zu tun?«
»Irgendwas ist mit der
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