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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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würde ich sie sofort losschicken. Aber bisher hat sie sich hier nicht blicken lassen.«
    Mit einem genuschelten Gruß und einem Nicken wollte sich Graham Millington an seinen eigenen Schreibtisch verabschieden. Er sah nur zu klar, wohin dieses Gespräch führte, und hatte nicht das geringste Verlangen, sich mit einem aufgebrachten Vater auseinanderzusetzen, der wie ein Halbschwergewichtler gebaut war.
    »Graham«, sagte Resnick.
    Ach, Scheiße, dachte Millington, noch nicht ganz zur Tür hinaus.
    »Sehen Sie doch mal, ob Lynn noch da ist. Und sprechen Sie beide dann gemeinsam mit den Phelans. Wenn Inspector Siddons kommt, kann sie ja übernehmen.«
    »Wenn ich das machen soll«, sagte Millington, »dann lieber von Anfang bis Ende.«
    Resnick warf Skelton einen kurzen Blick zu, und der nickte. »Gut.«
    »Und wenn sie die Aufnahme hören wollen? Die mit der Stimme ihrer Tochter?«
    »Ach ja, natürlich«, sagte Skelton mit hängendem Kopf. »Lassen Sie sie alles hören. So hätten wir das von vornherein handhaben sollen. Ich habe einen Fehler gemacht.« Er sah Resnick einen Moment lang schweigend an, dann ging er.
     
    Helen Siddons hatte keine Zeit verschwendet. Sie hatte sich beim Rundfunksender die Originalbänder samt Verpackung beschafft und sie zur forensischen Analyse weitergeleitet, obwohl sie inzwischen wahrscheinlich durch so viele Hände gegangen waren, dass mit ihnen nicht mehr viel anzufangen war. Sie hatte sich die zweite Aufnahme angehört und sie mit der ersten verglichen, hatte schließlich beide Bänder zu zwei Spezialisten gebracht und mit diesen zusammen nochmals angehört, immer wieder, unter Beachtung jedes einzelnen Worts und jeder kleinsten Nuance.
    In Folgendem war man sich einig: der auf dem ersten Band erkennbare, auf dem zweiten weniger deutlich wahrnehmbare nordenglische Akzent war beinahe mit Sicherheit erst später erworben. Gewisse Wendungen, die weiche Aussprache einiger Vokale, ließen an eine Kindheit in Südirland denken – vielleicht nicht unbedingt in Dublin, eher in einer ländlichen Gegend. Möglich wäre ein späterer Umzug nachEngland, in den Nordwesten, nicht nach Liverpool, dazu war der Akzent nicht rau genug – vielleicht nach Manchester, Bury, Leigh, in eine dieser ehemaligen Baumwollstädte.
    Und sei es möglich festzustellen, fragte Helen Siddons, ob der Erpresserbrief im Fall Susan Rogel von derselben Person abgefasst war?
    Ein Vergleich sei da sehr schwierig, die Register der gesprochenen und der geschriebenen Sprache seien ja sehr unterschiedlich. Zu mehr als der Feststellung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass alle Texte von derselben Person stammten, wollte sich keiner der beiden Spezialisten herablassen.
    Helen reichte das. Alle Verdächtigen im Fall Rogel, jeder, den die Polizei vernommen hatte, siebzehn Personen insgesamt, würden ebenso wie die Vernehmungsprotokolle nochmals überprüft, einige der Personen, wenn nötig, nochmals vorgeladen werden müssen. Sie war jetzt überzeugt, dass sie es in beiden Fällen mit demselben Täter zu tun hatten. Und höchstwahrscheinlich war er bereits bekannt.

42
    Ein Gefühl nervöser Erwartung hatte Lynn den ganzen Tag umgetrieben. Ob im Kampf mit dem alltäglichen Papierkram oder bei den Vernehmungen zu den Einbrüchen im Parkviertel. Ob bei einer Besprechung mit Maureen Madden über ein vorgebliches Vergewaltigungsopfer, eine Frau, die ihre Aussage bereits zweimal widerrufen hatte und von der sie glaubten, sie werde bedroht, oder unter dem Feuer anzüglicher Bemerkungen, mit denen Divine und Genossen ihr jeden Tag vergällten. Ob beim Tee oder am Telefon – sie konnte das Gefühl nicht loswerden, dass gleich etwas passieren müsse.
    Resnick hatte sich, in Gedanken offensichtlich ganz woanders, am späten Nachmittag nach ihrem Vater erkundigt und automatisch alles Gute gewünscht.
    »Kommst du noch mit auf ein Bier?«, rief Kevin Naylor, der, schon an der Tür, seinen Mantel überzog.
    Lynn schaute auf ihre Uhr. »Mal sehen.«
    Als sie schließlich die Treppe hinunterging, an der Wache und der Tür zu den Zellen vorbei ins Freie hinaus, ertappte sie sich dabei, dass sie darauf wartete, irgendwo vielleicht Michael zu sehen – im Gespräch mit dem Constable an der Wache, draußen auf der Straße auf und ab gehend. Er war nirgends.
    Obwohl sie wusste, dass es ihr leid tun würde, machte sich Lynn mit dem festen Vorsatz, nicht zu lange zu bleiben, auf den kurzen Weg zum Pub.
     
    »Wenn du mich fragst«,

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