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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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das Muster, das musste alles genau richtig sein.«
    Socken?, dachte Resnick. Eine Krawatte?
    »Aber ich habe die Rechnung für alle Fälle aufgehoben. Es kann ja sein, dass du sie zurückbringen und umtauschen möchtest   …«
    »Marian, nein. Sie ist perfekt.« Eine Krawatte.
    »Und mein anderes Geschenk, Charles? Was hältst du davon?«
    Das andere? Er hatte ein zweites Geschenk vor Augen, rechteckig und flach, er hatte es für eine Grußkarte gehalten. Aber nein, Marians Karte war im Wohnzimmer, eine Sternennacht über dem Wenzelsplatz.
    »Ich hoffe sehr, du hast es nicht als aufdringlich empfunden.«
    »Wir sind doch alte Freunde, Marian   –«
    »Eben. Das habe ich mir auch gesagt.«
    »Du kennst mich gut genug   …«
    »Dann kommst du also mit?«
    Mitkommen? Resnick unterdrückte einen Seufzer hinunter. Und wohin, bitte?
    »Wir werden beide – wie soll ich sagen, Charles? – in unsere Tanzschuhe schlüpfen.«
    Nachdem er aufgelegt hatte, ging Resnick in den Flur hinaus. Bud hatte ausgerechnet Marians Geschenke auf der großen Holztruhe gewählt, um sich darauf zusammenzurollen. Die Krawatte war aus Seide und in verschiedenen blassen Blautönen gehalten. Im zweiten Päckchen lag eineEintrittskarte zum Silvesterfest des Polnischen Klubs mit großem Abendessen und Tanz. Wieso wollten ihn plötzlich alle auf irgendeine Tanzfläche lotsen?
     
    Im Fernsehen liefen dieselben Filme, nicht wegzudenken, genau wie die Weihnachtsansprache der Queen. Er hätte sich eine gute alte Erst-Liga-Partie gewünscht, Southend gegen Grimsby, so in der Art. Wo der aus der Tiefe der Abwehr gedroschene lange Ball als kreatives Spiel galt und der Gegner, der gerade in Ballbesitz war, so hart angegangen wurde, dass der Fernseher wackelte. Stattdessen wurden ihm todesmutige Kriegsgefangene vorgesetzt, kleine Lords, wellige Hügel, auf denen man, hätten die Leute nur einmal aufgehört zu singen, das Edelweiß hätte wachsen hören können. Was für ein Name verbarg sich hinter diesem bis zur Unkenntlichkeit verwischten Stempel? Exeter? Exmoor? Exmouth? Resnick hielt den Umschlag gegen das Licht. Durch ihn hindurch konnte er in vagen Umrissen etwas wie eine Pferdekutsche oder einen Rentierschlitten erkennen.
Soll ich ihnen von den Briefen erzählen, Charlie ? Von den vielen Briefen, die ich dir geschrieben habe und auf die du nie geantwortet hast? Wie oft ich in meiner Not bei dir angerufen habe und du ohne ein Wort aufgelegt hast?
Sorgfältig stellte er den Brief wieder auf den Sims.
Soll ich ihnen das alles erzählen, Charlie ? Wie sehr du mir bei allem, was ich durchgemacht habe, geholfen hast?
    Er hatte seit Jahren nichts mehr von Elaine gehört, seit der Scheidung nicht. Bis dann diese Flut von Briefen eingesetzt hatte, auf deren Umschlag manchmal nur mit Mühe seine Adresse zu entziffern war. Aus Angst vor ihrem Inhalt hatte er sie in Fetzen zerrissen, zu Asche verbrannt, in die hinterste Ecke der Küchenschublade geschoben. Er hatte nichts wissen wollen, Elaine musste es ihm erst ins Gesicht schreien, mit schriller, überschnappender Stimme, derenAnklage und Schmerz seine scheinbare Gleichgültigkeit durchbohrten. Später hatte sie ihm erschreckend ruhig ihren Weg geschildert, von Fehlgeburt und Trennung, von den Behandlungen in der Klinik und von der Couch des Analytikers erzählt.
    In diesem Moment hatte Resnick Mitleid mit ihr gehabt, sogar Liebe empfunden, wenn auch nicht die gleiche wie früher, es war eine Liebe von anderer Art. Er hätte beinahe zu ihr gehen und sie in den Arm nehmen können. Aber Schuldgefühle hatten ihn gelähmt. Und etwas wie Selbsterhaltungstrieb.
    Sie war gegangen, und er hatte nie wieder etwas von ihr gehört.
    Bis jetzt.
    Vom Fenster im ersten Stock aus trauerte er um das langsam schwindende Licht.
     
    Zum Kaffee, fein gemahlen und stark, trank er ein Glas Whisky. Er nahm eine Ellington-Platte aus der abgegriffenen Hülle und legte sie auf. Die Aufzeichnungen zu dem Vorfall im Wohnungsamt und zu Gary James’ Befragung hatte er mit nach Hause genommen und sah sie jetzt durch, während er sich erneut fragte, ob es richtig gewesen war, den Mann auf freien Fuß zu setzen und nach Hause gehen zu lassen. Verletzungen zweifelhafter Ursache am Körper eines kleinen Jungen. Vielleicht war er wirklich gegen eine Tür gelaufen. Vielleicht war es auch die Faust seines Vaters gewesen. Eine der Katzen sprang Resnick auf den Schoß, schubste mit der Nase gegen seine Finger, drehte sich zweimal um sich

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