Nebel über dem Fluss
kleinen Rund der Tanzfläche machte es nichts, dass Andrew Clarke sich beim Boogie bewegte wie ein Ertrinkender, der verzweifelt gegen die Wellen kämpft. Tatsächlich hatte die Ernsthaftigkeit seines Bemühens für Dana beinahe etwas Rührendes.
Deshalb protestierte sie auch nicht, als er sie beim Wechsel der Musik zu einer alten Stevie-Wonder-Nummer zu einer Art Klammerblues an sich zog. Es überraschte sie allerdings, nach einer Weile einen Druck an ihrem Oberschenkel zu spüren, der kaum zu missdeuten war.
Sie stand irgendwann nach eins vor der Garderobe auf der Treppe, als sie ihn wiedersah. Er hatte seinen Crombie-Mantel an, etwas geknittert unter dem Kragen, und hielt die Autoschlüssel in der Hand.
»Sie fahren allein nach Hause?«
Es sah ganz so aus; Nancy hatte trotz ihrer früheren Beteuerungen offenbar Gesellschaft gefunden, die ihr genehm war.
»Sie wohnen doch noch am Newcastle Drive? Das liegt auf meinem Weg. Gestatten Sie mir, Sie nach Hause zu fahren.«
Im Wagen roch es nach Lederpolitur und Kölnischwasser. Sie war auf die Einladung zum Kaffee vorbereitet, hatte beschlossen, abzulehnen, und im Stillen den Ton geprobt, um ihn nicht zu verletzen.
»Gern«, sagte sie. »Auf einen Sprung, ja.«
Die Familie war natürlich schon am Morgen in aller Früh zur Fahrt in den Norden aufgebrochen. »Ein kleines Haus an der northumbrischen Küste. Wir haben es seit Jahren. Nichts Besonderes.«
Dana entdeckte ein Foto von Andrew und seinen Söhnen vor einem Gebäude, das wie ein kleines Schloss aussah. Andrew und der älteste Sohn trugen Flinten und hielten lachend ein Bündel toter Vögel hoch.
»So sind wir ganz unter uns.« Er drückte ihr ein großes Glas Brandy in die Hand. »Und haben Gelegenheit, uns ein wenig besser kennenzulernen.«
Als Dana vierzig Minuten später aus dem Haus stolperte, hing ihr der aufgerissene Büstenhalter um den Hals, ihre Strumpfhose war zerrissen, sie hatte von einem Schuh den Absatz verloren. Andrews Verliebtheit war in Wut umgeschlagen, und als sie ihm eine Ohrfeige verpasst und ihm gesagt hatte, er solle erwachsen werden, war er zu ihrer Überraschung in Tränen ausgebrochen.
Der erste Weihnachtsfeiertag war schon zwei Stunden alt, als sie in ihre Wohnung zurückkam und von Nancy nichts zu sehen. Dana konnte nur hoffen, dass der Abend für die Freundin netter verlaufen war als für sie. Rasch zog sie sich aus, duschte und machte sich einen Kamillentee. Mit gekreuzten Beinen auf dem Boden vor dem Fernseher sitzend hob sie die Tasse zu ihrem Spiegelbild im leeren Bildschirm. »Na dann – fröhliche Weihnachen.«
Irgendwann musste sie vor Kälte wach geworden und in ihr Bett gekrochen sein, aber als sie unter der geblümten Steppdeckezu sich kam, konnte sie sich nicht daran erinnern. Sie hatte das Gefühl, es könne höchstens sieben sein, aber die Digitaluhr zeigte elf Uhr sieben an. Das Telefon läutete. Sie rieb sich die Make-up-Reste aus den Augen und tappte ins Badezimmer. Auf dem Weg hob sie den Telefonhörer ab und legte ihn weg, ohne sich zu melden. Im Spiegel sah sie aus wie fünfzig.
Dreißig Minuten im Badezimmer verjüngten das Bild um genau fünf Jahre. Na großartig, dachte Dana. Jetzt sehe ich aus wie meine Mutter nach zwei Wochen in einer Gesundheitsfarm. Sie zog ein T-Shirt über, einen Pulli und alte Jeans. Im Kühlschrank standen zwei Mandarinenjoghurts, sie aß sie beide und spülte mit abgestandenem Evian nach. Na, Nancy, jetzt haben wir Mittag – du scheinst dich ja ziemlich gut zu amüsieren.
Plötzlich fiel ihr das Telefon wieder ein und sie legte den Hörer auf. Sofort begann das Telefon wieder zu läuten.
»Hallo?«
Es war Nancys Mutter, die von Merseyside anrief, um ihrer Tochter Frohe Weihnachten zu wünschen.
»Tut mir leid, Mrs Phelan, sie ist gerade nicht da.«
»Aber wir dachten, sie verbringt den Weihnachtstag mit Ihnen. Sie sagte –«
»Ja, das ist schon richtig. Es ist nur so …« Es ist nur so, dass sie noch nicht vom Vögeln zurück ist. »Sie ist eben mal weggegangen. Einen Spaziergang machen. Um den Kopf frei zu kriegen.«
»Sie ist doch nicht krank?«
»Nein, nein. Wir waren nur gestern auf dieser Fete …«
Es blieb einen Moment still, dann hörte sie undeutlich, wie Mrs Phelan ihrer Familie weitergab, was sie gehört hatte. »Bitte richten Sie Nancy aus, dass ich angerufen habe«, sagte Mrs Phelan dann, »ich versuche es später noch einmal.«
Was sie in den nächsten Stunden mehrmals tat. Und jedes
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