Nebel ueber Oxford
ausziehen. Wenn man Emma ließe, würde sie das Haus wahrscheinlich weiterhin mit Babys füllen, bis ihre erschöpfter Körper schließlich den Dienst versagte.
»Da sind wir, Geraldine«, sagte Emma heiter. »Das hier ist meine Freundin Kate.«
Geraldine saß am Tisch auf einem Stuhl, dessen Sitzfläche Emma mit vielen Kissen erhöht hatte, damit das Kind Papier und Buntstifte erreichen konnte. Die Kleine war blond, hatte ein schmales Gesicht und tiefe Ringe unter den Augen. Sie blickte Kate an, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Ihre Mundwinkel waren nach unten gezogen, als wolle sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Bist du eine Ärztin?«, fragte Geraldine mit zitternder Unterlippe.
»Nein, das bin ich nicht.«
»Kate ist Schriftstellerin«, erklärte Emma. »Sie schreibt tolle Bücher mit aufregenden Geschichten.« Noch nie hatte Kate gehört, dass Emma ihre Bücher als »toll« bezeichnete, von »aufregend« ganz zu schweigen. Sollte sie ihre Worte als ernsthaftes Kompliment auffassen? Wohl eher nicht.
»Liest du mir eine Geschichte vor?«, fragte Geraldine, als ob sie die Behauptung der Erwachsenen testen wolle.
»Es sind Geschichten für große Leute«, sagte Emma mit unnatürlich heiterer Stimme.
Geraldine starrte Kate mit großen Augen an. Kate verspürte das Bedürfnis, ihr die Angst zu nehmen.
»Sieh mal, ich habe keine Tasche bei mir. Und auch kein Stethoskop und kein Fieberthermometer«, sagte sie. »Außerdem trage ich keinen weißen Kittel. Ich kann also gar keine Ärztin sein.«
»Oh nein, Kate ist eine ganz unsolide Person«, fügte Emma unnötigerweise hinzu und warf Kate einen Blick zu, der sie aufforderte, sich schnellstens möglichst unseriös zu verhalten.
»Die Ärzte haben mir meine Mama weggenommen«, sagte das Kind. »Ich möchte sie zurückhaben.«
»Sie haben sie nur für eine Weile ausgeliehen«, entgegnete Emma heiter. »Sie ist bald wieder zu Hause. Pass auf, du malst uns jetzt noch ein schönes Bild. Kate und ich gehen hinunter in die Küche, trinken Kaffee und erzählen uns dummes Zeug.«
»Ich hatte eigentlich gehofft, mir dir über die Bombe sprechen zu können«, warf Kate ein.
»Bombe? Hier gibt es nicht die kleinste hässliche Bombe – oder, Geraldine?« Emma bemühte sich um ein unbeschwertes Lachen.
»Gibt es Kekse zu eurem Kaffee?«, fragte Geraldine, die offenbar Prioritäten zu setzen wusste.
»Sogar Schokokekse«, antwortete Emma mit schmeichelnder Stimme. »Ich bringe dir gleich einen hoch und dazu ein Glas Saft, einverstanden?«
»Ja, aber ich hätte gern zwei Kekse. Bitte«, fügte Geraldine brav hinzu und wandte sich wieder ihrem Bild zu.
»Du hast dich von dem Kind austricksen lassen, Emma.« Kate schmunzelte draußen vor der Tür.
»Ich weiß. Aber das ist schon in Ordnung.« Das klang ganz und gar nicht nach Emmas üblichen Erziehungsmethoden.
»Wo sind eigentlich Flora und, äh, Jack?«, erkundigte sich Kate, die immer Schwierigkeiten hatte, sich an die Namen von Emmas jüngeren Kindern zu erinnern.
»Flora ist heute Morgen in ihrer Spielgruppe, und Jack ist in der Schule.«
»Himmel, ich war der Meinung, Flora säße noch im Kinderwagen.«
»Sie ist dreieinhalb. Und Jack wird sieben.«
Kate hielt es für besser, das Thema zu wechseln. Auf Emmas Gesicht zeichnete sich bereits der wehmütige Zug ab, der sich immer zeigte, wenn sie ihren Ehemann von einem weiteren Kind zu überzeugen versuchte. Eilig ging Kate in die Küche voraus.
Emma goss Saft in einen Plastikbecher, der mit einem Kaninchen bemalt war. Kate öffnete die Kekspackung, schaltete den Wasserkocher ein und löffelte Kaffee in die Kanne.
»Damit wird sie sich sicher eine Weile vergnügen«, sagte Emma und zeigte auf das Tablett. Auf einem Teller hatte sie vier Kekse fächerförmig angeordnet.
Während Emma die Kekse und den Saft nach oben brachte und sich kurz mit Geraldine unterhielt, blickte sich Kate in der Küche um. Irgendetwas hatte sich seit ihrem letzten Besuch verändert, doch sie wusste nicht genau, was es war.
Auf dem Tisch stand ein großer Karton mit gesundem Gemüse, das die meisten Kinder vermutlich nie freiwillig essen würden, an das Emmas Kinder aber sicher seit ihrer Babyzeit gewöhnt waren. Ein kleiner, dicker grüner Kürbis mit gelben Flecken und tief eingeschnittenen Segmenten lag auf dem Fenstersims, daneben fanden sich eine Kindersocke, ein Gürtel, der zu einem grünen Kleid gehörte, und ein Paket Katzenfutter. Ein ziemlich ramponierter
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