Nebel ueber Oxford
ein ruhiges, zierlich gebautes Mädchen, das von großen, herrischen Dolbys mit flammend rotem Haar umringt wurde, die in ihrer Upper-Class-Sprache hemmungslos auf die junge Frau einredeten. Auch eine gute Idee für eine Geschichte! Aber würden George, sein Bruder oder auch eine der furchterregenden Tanten tatsächlich so weit gehen, jemanden mit dem Auto zu überfahren?
Sie malte sich das verkniffene Gesicht von Sams Großtante aus, wie sie in grimmiger Entschlossenheit ihren alten Ford auf vierzig Stundenkilometer beschleunigte.
Auch das war eine interessante Idee, stellte sie fest, und fügte den Namen der Großtante ihrer Liste hinzu. Dann jedoch wandte sie sich wieder den Notizen für Neil Orson zu, an denen sie eigentlich hätte weiterarbeiten müssen. Eine Viertelstunde später starrte sie mit verärgertem Gesicht ihren Bildschirm an: Ehe sie noch einen derart langweiligen Textabsatz produzierte, sollte sie lieber aufhören und mit ihrer Zeit etwas Sinnvolles anfangen.
Kate ging den gleichen Weg, den sie mit dem Auto gefahren war, als sie Kerri nach Hause gebracht hatte. Plötzlich betrachtete sie die Geschäfte in der Cowley Road mit ganz anderen Augen. Sie stellte sich vor, wie Kerri mit zwei Plastiktüten beladen aus dem Supermarkt kam, die Straße überquerte und in eine ruhige Seitenstraße abbog, wo hauptsächlich Autos parkten. Vermutlich hatte Kerri die gelb werdenden Blätter und verblühenden Blumen registriert, wie Kate es auch tat.
Als sie die Ecke erreichte, wo Kerri hatte aussteigen wollen, blieb Kate stehen. Hier musste es passiert sein. Als Kerri gerade die Straße überqueren wollte, musste der Wagen auf sie zugehalten haben. Kate stellte sich ein bulliges, bedrohliches Auto mit abgedunkelten Scheiben vor. Und der Fahrer? War er allein gewesen, oder teilte er sein Geheimnis mit einem Kumpel?
Ein rotes Auto ratterte vorbei. Die Türen waren zerbeult, die Stoßstange mit Matsch bespritzt. Aus den offenen Fenstern wummerte laute Musik. In dem Wagen saßen vier junge Leute. Studenten, dachte Kate. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der nett aussehende Fahrer das Gaspedal durchtreten würde, wenn er einen Fußgänger auf der Fahrbahn bemerkte. Im Geist ging sie noch einmal die Liste durch, die sie gemacht hatte. Nein, sie konnte es sich bei keinem einzigen, der dort stand, vorstellen.
Sie überquerte die Straße und ging noch ein Stück weiter bis zu dem Haus, vor dem sie Kerri wenige Tage zuvor abgesetzt hatte. Die Tür war nur angelehnt. Innen hörte sie leise Stimmen. Sie stieß die Tür auf und trat ein.
Die Unterhaltung kam aus einem Zimmer zu ihrer Rechten. Genau geradeaus, am Ende des Flurs, lag die Küche. Auch diese Tür stand offen. Eine schlanke, junge, blonde Frau in ausgewaschenen Jeans schüttete gerade Wasser aus dem Kocher in ein halbes Dutzend Becher, die auf dem Tisch standen.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte Kate.
»Mit dem Kaffee? Aber ja, sehr gern. Danke!«
»Ich bin übrigens Kate.« Sie hatte ein Tablett gefunden und stellte die Becher darauf.
»Lynne«, stellte die Kaffeeköchin sich vor. »Möchten Sie auch einen?«
»Gern.«
»Würden Sie mir bitte den sauberen Becher geben, der da drüben auf dem Regal steht?«
Kate tat es. »Wir kennen uns zwar noch nicht, aber Kerri hat Sie erwähnt. Auf der Heimfahrt am Sonntag hatte sie gesagt, dass zwei ihrer Mitbewohnerinnen Mel und Lynne heißen.«
»Ach, dann sind Sie die Frau, bei der Kerri das Wochenende verbracht hat, als wir nicht zu Hause waren!«
»Genau die. Soll ich die Tassen ins Zimmer drüben bringen?«
»Gern. Ich suche noch schnell nach etwas Essbarem. Conor sieht hungrig aus.«
»Sie haben wirklich eine Menge zu tun.«
»Es tut gut zu spüren, dass man zu irgendetwas nütze ist«, sagte Lynne. »Es ist allemal besser, als herumzusitzen und sich schlecht zu fühlen.« Sie verstummte und öffnete den Küchenschrank. »Prima, ich habe eine Tüte Chips gefunden. Ich habe zwar keine Ahnung, wer sie gekauft hat, aber was soll’s.« Sie füllte zwei Schüsseln mit Chips und ging Kate voraus in das Zimmer, in dem Kerris Freunde sich versammelt hatten.
»Das ist Kate«, sagte Lynne, stellte die Schalen auf den Tisch und verteilte die Kaffeebecher. »Auch eine Freundin von Kerri«, fügte sie hinzu.
Die Menschen im Zimmer waren durch die Bank jung. Sie hatten sich auf das Sofa gequetscht oder saßen mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden. Es schien, als suchten sie den Schutz der
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