Nebel ueber Oxford
haben. Eine E-Mail erscheint mir so herzlos.«
»Ich logge mich ein und sehe nach, ob er zufällig ebenfalls online ist. Dann könnten wir chatten. Allerdings ist es in China schon ziemlich spät. Außerdem ist er irgendwo in der Pampa und kann seine G-Mail nur alle paar Tage abrufen.«
»An den Zeitunterschied hatte ich überhaupt nicht gedacht.«
»Sie sind uns sieben Stunden voraus, bis zur Umstellung auf die Winterzeit. Bei Sam ist jetzt also fast Mitternacht.«
»Und was ist G-Mail genau?«
In der Leitung entstand eine Pause, während der Ben offenbar überlegte, wie man das jemandem erklären konnte, der so alt war wie Kate. »Es ist so ähnlich wie E-Mail, nur dass man direkt über das Web kommunizieren kann. Man kann auch zu mehreren miteinander chatten.«
»Aber dann müssen alle gleichzeitig online sein, richtig?«
»Genau.«
»Hat Sam kein Handy?«
»Er sagte, er wolle ganz in der Kultur seiner Gastgeber aufgehen und sich nicht an sein altes Leben klammern. Aber ich glaube, er hatte einfach Angst, dass seine Familie ihn sonst jeden Tag angerufen hätte. Und so hat er sich lieber so gut wie unerreichbar gemacht.«
»Das ist ihm gelungen. Ich denke, ich sollte ihm vielleicht doch eine E-Mail schicken.«
»Trotzdem danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben. Wenn ich zu ihm durchkomme, kann ich mit ihm darüber reden. Vorausgesetzt, er will.«
Kate öffnete wieder die E-Mail. Als Erstes richtete sie die Anforderung einer Lesebestätigung ein, um zu erfahren, wann Sam die Mail abrufen würde. Dann dachte sie nach.
»Lieber Sam«, tippte sie schließlich, »ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten für dich …«
Kapitel 23
Auch am folgenden Morgen ließ Kerris Tod Kate nicht los. Sie ging spazieren, um den Kopf klar zu bekommen, und mittags hatte sie noch immer keinen rechten Appetit. Gegen halb zwei setzte sie sich an ihren Computer und öffnete den Ordner mit ihren neuen Romanideen. Sie musste unbedingt auf andere Gedanken kommen und ihre Ideen weiterentwickeln, wenn ihr daran lag, Estelle und Neil zu überzeugen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sich ganz auf die von ihr erfundenen Charaktere und die Handlung zu konzentrieren – ihre Gedanken kreisten doch immer wieder darum, wie Kerris Abend unmittelbar vor ihrem Tod verlaufen sein mochte.
Kate überraschte sich dabei, Worte wie Explosion, Briefbombe und Fahrerflucht einzutippen. Sam, Kerri, Conor. War die Beziehung zwischen diesen drei Menschen komplexer, als es den Anschein hatte? Als sie Conor auf Sams Party kennengelernt hatte, war er ihr vorgekommen wie ein Spaßvogel, der andere nur zum Vergnügen aufzog. Außerdem schien Kerri eine gewisse Anziehungskraft auf ihn auszuüben, was sie selbst aber nicht daran hinderte, nur Augen für Sam zu haben. Und dann hatte Kerri ihr von Conors merkwürdigem Benehmen am Tag des Anschlags erzählt. Kate schien es wichtig, dieser Sache nachzugehen.
Nachgehen? Wie kam sie nur darauf?
Telefonate, Graffiti, Fahrerflucht tippte sie, trotz ihres Vorsatzes, sich nicht einzumischen. Blake, Greg, Candra. Es war ja ganz nett, die Ereignisse nicht zu ernst zu nehmen, wie Blake es seinem Team vorgeschlagen hatte. Doch wenn er den ersten Warnzeichen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, würde Kerri vielleicht noch leben.
Und was war mit den aggressiven Tierversuchsgegnern? Wie passten Razer und seine Anhänger ins Bild? Nachdem jeder vermutete, dass sie hinter den Anschlägen steckten, müssten sie auch die Hauptverdächtigen für Kerris Tod sein. Warum aber sollten sie sich ausgerechnet eine Praktikantin wie Kerri ausgewählt haben? Wenn dies hier eine von Kates eigenen Geschichten wäre, so gäbe es einen Trittbrettfahrer, der sich hinter den Tierversuchsgegnern versteckte, als er Kerri ermordete. Sollte die Polizei zu dem Schluss kommen, dass hinter dem Unfall mehr als nur die Fahrerflucht eines Betrunkenen steckte, würde sie zunächst die Tierschutz-Aktivisten verdächtigen.
Blake, Marianne. Kate schrieb die Namen unter den von Razer. Neben Blakes Namen notierte sie »interessiert sich für jeden Rock«, neben Mariannes Namen tippte sie »eifersüchtige Frau«. Normalerweise hätte sich Kate auf diese vielversprechende Idee als Grundlage für einen Roman gestürzt, doch das Problem im wirklichen Leben war, dass man nicht im Voraus wissen konnte, wohin sich die Dinge entwickeln würden.
Während sie noch über Eifersucht als Motiv für die Tat nachdachte, stellte sie sich Kerri vor –
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