Nebelflut (German Edition)
konzentriert. Fokussiert. Er wusste, dass er nicht weiterleben konnte wie bisher und dass er hier einfach irgendeine Spur finden musste.
Er stieg über das Absperrband und hob es dann leicht an, sodass Sophie darunter her tauchen konnte.
»Bleib hinter mir«, flüsterte Patrick und ging langsam aufs Hauptgebäude zu. Sie erreichten den Stall, aber die Stille blieb vollkommen. Vermutlich hatte man die Tiere fortgebracht und es war nur logisch, dass ein verlassenes Haus leise war. Dieses Anwesen schien allerdings nicht nur leise zu sein. Es schien etwas zu verschweigen.
Sie kamen am Hauptgebäude an und passierten das erste Fenster. Patrick rechnete mit allem, mit Augen, die ihn aus dem Inneren des Hauses anstarrten, mit verzerrten Geisterfratzen, aber die Tatsache, dass das Fenster von innen vernagelt war, erschreckte ihn mehr, als ihn alles andere hätte erschrecken können. Er konnte nur mutmaßen, welche Gründe es dafür gab, sich hinter Brettern zu verstecken.
»Da vorne ist die Tür«, wisperte Sophie, die über seine Schulter hinwegspähte.
Patrick nickte und kurz darauf erreichten sie den Eingang zum Haus. Der kitschige, aber vertrocknete Kranz an der Tür passte so gar nicht zu seinem Gesamteindruck des Grundstücks. Patrick zog den Ärmel seiner Jacke über seine Hand und drehte den Türknopf, doch das Glück verließ sie früh: Es war abgeschlossen.
»Scheiße«, kommentierte er.
»Kannst du sie eintreten?«
Patrick tastete die Tür ab. Sie wackelte ein wenig und schien nicht allzu massiv zu sein. Er wies Sophie an, ein paar Schritte zurückzugehen, tat es ihr dann gleich und nahm Anlauf, um sich mit der Schulter gegen das Holz zu werfen, wie er es aus Filmen kannte. Er hörte ein protestierendes Krachen und als er erneut an der Tür rüttelte, ging es schon viel müheloser. Erneut nahm er Anlauf und als er sich ein zweites Mal mit voller Kraft gegen die Tür warf, gab sie nach.
Sophie lachte kurz und schrill. »Verrückt«, entfuhr es ihr, aber Patrick war viel zu nervös, um die Bemerkung einzuordnen.
Aus dem Korridor des Hauses drang ein süßlicher Geruch und Schwärze starrte ihnen entgegen.
Patrick machte einen Schritt ins Haus und ertastete einen Lichtschalter. Er fand und betätigte ihn, doch nichts geschah.
»Kein Strom.« Noch während er die Worte aussprach, fiel ihm wieder ein, woran er von Anfang an hätte denken sollen. Im Internet hatte gestanden, dass eine mittelalterliche Farm in den Fokus der Ermittlungen gerückt war. Mittelalterlich schrie doch förmlich danach, dass es hier keinen Strom gab.
»Was jetzt?« Sophie sah ihn ratlos an. »Hast du ein Feuerzeug?«
Patrick zog sein Zippo aus der Hosentasche und legte es in ihre ausgestreckte Hand. »Aber damit kommen wir nicht weit. Ich habe eine Taschenlampe im Auto.«
Sie nickte. »Dann hol sie. Ich sehe mich schon mal um.«
»Einverstanden.« Er schob sich an Sophie vorbei und beeilte sich, zurück zum Wagen zu kommen. Der Boden war matschig vom letzten Regen und das Schmatzen unter seinen Schuhen erinnerte ihn unangenehm an sein Erlebnis während der Flut. Momentan war er weit von den Gedanken entfernt, die er dort gehabt hatte und er fühlte sich verhältnismäßig gut. Er spürte förmlich, dass er auf dem richtigen Weg war. Als wäre irgendetwas von Amy hier, um seine Schritte zu lenken.
Patrick nahm die Taschenlampe aus dem Handschuhfach und kontrollierte kurz, ob sie funktionierte. Es war nicht unbedingt das leuchtstärkste Modell, aber sie war okay. Er eilte zurück zum Haus und durch die jetzt offen stehende Tür, schaltete die Lampe ein und sah sich nach seiner Begleiterin um.
»Sophie?«
Nichts.
Er sagte noch einmal, diesmal lauter, ihren Namen, doch sie antwortete nicht und es rührte sich nichts. Die Stille blieb vollkommen, keine Schritte, nicht das geringste Geräusch war zu hören. Als ob das Haus sie verschluckt hatte. Patrick schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Dann rief er erneut nach Sophie und lief los.
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Bradys Herz raste und Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Er hatte dem Moment der Verhaftung so lange entgegengefiebert und nun, da es so weit war, wünschte er sich, ihn noch ein bisschen aufschieben zu können. Ihm gingen hundert Szenarien durch den Kopf, in denen alles nur Erdenkliche schief lief. In einem davon Stürme Patrick Namara mit einer Pumpgun aus dem Haus und schoss sie alle über den Haufen. In einer anderen Schreckensvision jagte Namara sich
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