Nebelflut (German Edition)
ihm beinahe entfahren, aber er durfte von seinen eigenen Verfehlungen natürlich nicht auf andere schließen.
»Du weißt, dass ich verdächtigt werde.«
»Ja. Und was willst du jetzt tun?«
»Ich muss mit den Typen sprechen, die vor ein paar Tagen auf dieser Farm in Brittas verhaftet worden sind. Beziehungsweise mit dem einen davon, der noch ansprechbar ist.«
Sophie verzog den Mund, als habe sie etwas Saures gegessen. »In den Nachrichten haben sie gesagt, dass er ermordet worden ist. In der Nacht von Freitag auf Samstag.«
»Verdammt!« Patrick wandte sich ab und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Es hätte so einfach sein können. Freitag auf Samstag … Er versuchte, sich die Nacht ins Gedächtnis zu rufen, doch Sophie unterbrach seinen Gedankengang.
»Vielleicht kannst du dich auf die Farm schleichen und dich dort umsehen.« Sophie packte ihn an den Schultern und drehte ihn zu sich. In ihren Augen funkelte Abenteuerlust. »Vielleicht findest du dort etwas, das dich entlastet. Oder sogar die Wahrheit über deine Schwester.«
Patrick dachte kurz nach. Sein letzter Ausflug zur Farm kam ihm ins Gedächtnis, das kalte Grauen, das ihn schon bei ihrem Anblick überkommen hatte. Doch er sah ein, dass das alte Gemäuer wohl der einzige Anhaltspunkt war, der ihm nun blieb. Wie man es auch drehte und wendete, dort draußen schien alles zusammenzulaufen. »Ja, du hast recht. Es wird bald dunkel. Am besten mache ich mich gleich auf den Weg.«
Sophie drückte seine Schultern. »Wenn du nichts dagegen hast, komme ich mit.«
Er wusste nicht, ob das so klug war, doch andererseits hatte Sophie, wie sie selbst zugegeben hatte, jetzt wohl ein ziemlich umfassendes Wissen über die Geschehnisse der vergangenen Wochen. Vielleicht war es ganz gut, sie mitzunehmen.
»Also schön. Dann fahren wir.«
-89-
Brady befand sich gerade auf dem Nachhauseweg, als sein Handy klingelte.
»Hey, Sean.«
»Fallon hat angerufen. Namaras DNA wurde an Nate Simmons Leiche gefunden. Wir haben eine Verhaftung vorzunehmen, Kollege.«
Brady trat auf die Bremse und fuhr links ran. »Das ist jetzt ein Scherz! Kaum bin ich weg …«
»In der Tat.« Sean schien ebenso erleichtert wie er selber. »Wie sieht es aus, kommst du mit?«
»Aber sicher.« Er setzte den Blinker und wendete so gut es mit einer Hand ging. »Wo treffen wir uns? Vorm Haus des Docs?«
»Ja, aber warte im Wagen. Du gehst nicht alleine rein, ist das klar?«
»Alles klar!« Brady legte auf und gab Gas.
-90-
If you love me, won’t you let me go? , schallte es metallen aus dem Autoradio, das Sophie gleich nach dem Aufbruch aufgedreht hatte. Die Fahrt war bisher größtenteils schweigend verlaufen, was Patricks Nervosität ein wenig gemäßigt hatte. Trotzdem fragte er sich ununterbrochen, was er auf der Farm finden würde. Was dieser Abend für ihn ändern würde.
Brittas war um diese Zeit wie ausgestorben. Entweder war das in diesem Dorf normal oder die Menschen verschanzten sich vor neugierigen Reportern. Auf dem Parkplatz des einzigen Pubs entdeckte Patrick zwei Übertragungswagen, beide von kleineren Privatsendern. Der Rest der Meute belagerte vermutlich das Krankenhaus, in dem der überlebende Junge im Koma lag.
Patrick steuerte Jerzys Wagen über die ruckeligen Landstraßen und betete, dass das klapprige Auto bis zur Farm durchhielt. Als sie schließlich ankamen und auf den schmalen Trampelpfad abbogen, hatte das Anwesen nichts von seinem Schrecken verloren. Im Gegenteil: In der Abenddämmerung sah es noch mehr wie ein Geisterhaus aus, erfüllt von einer unheimlichen, lebensfeindlichen Spannung.
»Wow«, sagte Sophie nur und atmete eine Wolke an die Scheibe.
»Ja.« Wie schon beim letzten Mal schien hier alles verlassen zu sein, also parkte Patrick den Golf einfach vor der Absperrung aus Flatterband. Er stieg aus und ließ den Anblick des Hauses auf sich wirken, darauf bedacht, sich kein wichtiges Detail entgehen zu lassen. Diese Stille hier, die finstere Stimmung, der Nebel, der über allem lag – dieser Hof war vermutlich der denkbar perfekteste Ort, um jemanden gefangen zu halten. Und um jemanden zu töten.
Sophie war neben ihn getreten. »Stell dir vor, hier lebst du.«
Patrick fragte sich, wie Sophie in Belfast lebte. Er konnte sie sich viel besser in einem sonnigen Strandhaus vorstellen als in Nordirlands trüber Hauptstadt. Irgendwo weit weg von hier.
»Möchte ich gar nicht. Bringen wir es hinter uns.« Patrick lief los. Er fühlte sich wach und
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