Nebelflut (German Edition)
Sekunde wurde alles um ihn herum schwarz. Haltlos glitt er den schlammigen Abhang hinunter. Seine Hände griffen in den Waldboden, doch die dünnen Pflanzen und Wurzeln, die ihn an dieser Stelle überzogen, gaben nach. Erst als sein Körper mit einem Baum kollidierte, kam er zum Liegen. Nach einem Augenblick der Benommenheit rappelte sich Brady auf und versuchte, sich zu orientieren.
Der Mann war oberhalb der Böschung stehen geblieben und schaute zu ihm herunter. Als Brady ihn entdeckte, wandte er den Kopf ab und hastete davon. Im letzten Moment konnte Brady noch einen Blick auf sein Profil werfen. Ein außerordentlich markantes Profil.
-9-
Als Brady zwischen den Bäumen her gehumpelt kam, stand Sean gemeinsam mit den Streifenbeamten ein Stück weit vom Waldrand entfernt und koordinierte vermutlich die weiteren Handlungsschritte. Brady wollte ihm von dem seltsamen Kerl berichten, doch so weit kam er nicht. Er war völlig außer Atem und ihm war schwindelig, also sank er auf einen morschen Baumstumpf und versuchte erst einmal, sich wieder in den Griff zu bekommen. Sein Knie schmerzte und seine Klamotten waren zu allem Übel nicht mehr nur nass, sondern auch noch schmutzig. Außerdem hing ihm immer noch der Verwesungsgeruch in der Nase.
»Was für ein Scheißtag«, murmelte er und beobachtete, wie die Streifenbeamten ausschwärmten, während Sean sein Handy zückte und mit dem Zeigefinger etwas in die Tastatur hackte.
Brady schloss die Augen und lauschte wieder der Stille. In Dublin war es nie still. Polizeisirenen lösten sich mit Autohupen und Stimmengewirr ab. Aber hier draußen …
»Hey, Dornröschen, aufwachen!« Sean rüttelte an Bradys Schulter. »Wach auf, McCarthy!«
Brady öffnete die Augen und blinzelte. Es war heller geworden, die Wolkendecke war aufgerissen und es nieselte nicht mehr. »Bin ich eingeschlafen …?«
»Kann man so sagen.«
Er rappelte sich auf. Seine Knochen fühlten sich schwer an und er fror. Er sah, dass mittlerweile die Spurensicherung angerückt war. Männer und Frauen in Papieranzügen machten sich am Geräteschuppen und ums Haus herum zu schaffen. »Gibt es was Neues?«
»Es gibt zwar keinen Strom, aber das Haus scheint trotzdem bewohnt zu sein. Oder zumindest war es das bis vor Kurzem. Es sieht aus, als wäre es fluchtartig verlassen worden.«
Brady schaute herüber zum Schuppen. »Und da drinnen?«
»Sie sind noch dabei. Aber wir haben etwas Interessantes gefunden. Hey, Finn, bring mal Beweismittel 12 rüber!«, rief Sean in Richtung der Spurensicherer, die dabei waren, vor der Scheune Schildchen aufzustellen.
Einer der Männer erhob sich aus der Masse der Overall-Träger und winkte Sean fröhlich zu. »Ich bin sofort bei euch!« Damit verschwand er wieder in der Versenkung.
»Jetzt mach’s doch nicht so spannend.«
»Gedulde dich. Wer während des Dienstes schlafen will, der muss damit rechnen, dass er etwas verpasst.«
»Ich bin mächtig auf meinen Schädel geknallt, Mann.«
Sean setzte ein mitleidiges Gesicht auf und erntete einen Stoß in die Rippen. »Mal im Ernst, was hast du da im Wald überhaupt gesucht, McCarthy?«
»Da war ein Kerl.« Brady stand auf und streckte seine klammen Glieder. »Er hat uns beobachtet und ist dann weggelaufen.«
»Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Entschuldige.«
»Ich dachte, du musst schon wieder kotzen oder dir drückt die Blase.« Sean schnaubte verärgert und suchte den Wald mit den Augen ab. Erst jetzt wurde Brady klar, wie falsch er gehandelt hatte. Der Sturz musste sein Hirn tatsächlich ziemlich in Mitleidenschaft gezogen haben.
»Wir können ein Phantombild anfertigen lassen und nach ihm fahnden.«
»Du hast ihn gesehen? Im dunklen Wald, während ihr beide gerannt seid?« Sean musterte ihn argwöhnisch.
»Glaub mir, ich habe genug erkannt, dass wir ihn finden können.« Er nickte. »Wir finden ihn.«
»So, da bin ich.« Der Mann, den Sean mit Finn angesprochen hatte, kam auf sie zu und begrüßte sie per Handschlag. In der anderen Hand hielt er einen Beweismittelbeutel mit einer weißen Karte darin.
»Detective McCarthy«, stellte sich Brady vor und registrierte das Augenzwinkern, mit dem Sean Finn versah.
»Der Junge ist mein neuer Partner«, erklärte er und es klang beinahe entschuldigend.
»Finn Fallon. Aus der Rechtsmedizin.« Finn entblößte eine Reihe gerader, aber zu groß geratener Zähne.
»Erklär ihm, was ihr bisher wisst.«
Finn atmete durch, wobei die Luft pfeifend durch seine
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