Nebelflut (German Edition)
Farm begraben«, fuhr seine Mutter fort. »Alles, was übrig ist, sind ihre Zähnchen …«
Aus dem Hintergrund hörte Patrick seinen Vater leise auf sie einreden, doch Evelyn konnte sich nicht beruhigen.
»Ich muss auflegen, Mum.« Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren belegt und fremd. Er brachte die Worte kaum heraus, doch er konnte ihr nicht weiter zuhören. Es ging einfach nicht.
»Patrick? Du–«
Er beendete den Anruf, sank in seinen Stuhl zurück und starrte das Telefon an. Die Stimme seiner Mutter hallte durch seinen Kopf. Ihre Überreste . Er sah ein winziges Skelett vor sich und schüttelte den Kopf, damit das Bild verschwand. Dann griff er nach dem Hörer, um Grace anzurufen, und ließ die Hand gleich wieder sinken. Er musste sich erst beruhigen.
Die Tür öffnete sich und Patrick sah aus dem Augenwinkel eine weitere Patientin – einen karierten Mantel und eine Regenhaube aus Plastik. Hatte er Felicia nicht mehr als deutlich gesagt, dass sie niemanden hereinlassen sollte?
»Bitte gehen Sie.«
Die Frau war offenbar schwerhörig. »Herr Doktor, schön dass ich es vor Silvester noch schaffe …«
»Ich sagte: Bitte gehen Sie! Verlassen Sie das Zimmer, los!« Während er sprach, sprang er auf, trat hinter dem Schreibtisch hervor, eilte zu der Frau und schob sie aus dem Behandlungsraum. Dann knallte er die Tür zu, lehnte sich schwer dagegen und sank zu Boden. Amys Überreste waren gefunden worden – die Neuigkeit fühlte sich in seinem Kopf an wie ein Fremdkörper, wie etwas Widerwärtiges, dessen Existenz allein ihn krank machte.
Das Klicken der Gegensprechanlage. »Doc? Doktor Namara? Ist alles okay?«
Er antwortete nicht, was sollte er auch sagen? Worte hätten nicht beschreiben können, wie wenig okay alles gerade war.
Hektisch tastete Patrick die Taschen seiner Jeans ab. Er fand das Kokain und verschüttete es fast, so stark zitterten seine Hände. Seine Augen brannten und sein Kopf schien explodieren zu wollen. Dies war der Moment. Amys Geschichte endete hier. Patrick schüttete sich das Pulver auf den Handrücken und beeilte sich, es zu nehmen, doch es war zu spät, es trat keine Erleichterung ein. Immer wieder jagten die Worte seiner Mutter durch sein Hirn. Er ließ den Kopf gegen die Tür sinken und presste die Hand vor seine Nase, damit der Stoff nicht gleich wieder hinaus lief, während heiße Tränen über sein Gesicht strömten.
-22-
Der schwarze Mann kam nicht nur ein Mal zu ihr. Immer wieder schloss er die Tür auf, schaute in den Raum und beobachtete sie, minutenlang, ohne sich zu bewegen. Irgendwann, als ihr Hals schon brannte vor lauter Durst, traute sie sich, etwas zu ihm zu sagen. Fragte ihn, ob sie ein Glas Wasser haben dürfte. Irgendwann fing sie an zu weinen, obwohl sie das eigentlich nicht wollte, und es nützte auch nichts. Der schwarze Mann blickte sie nur an, bewegte sich nicht und gab ihr nie eine Antwort. Jedes Mal schloss er die Tür nach einer Weile wieder ab und ging.
Irgendwann war sie sich sicher, dass der schwarze Mann sie verhungern und verdursten lassen würde. Sie dachte an ihre Eltern, die sie sicher schon suchten, die bestimmt traurig waren wegen ihr und die noch trauriger sein würden, wenn sie sie irgendwann fanden und sie vor Durst und Hunger gestorben war. Sie fing an, ihre eigene Spucke zu sammeln und sie zu trinken wie Wasser und wenn sie weinte, dann leckte sie die Tränen mit der Zunge von ihren Wangen. Der Mann sah ihr manchmal dabei zu, aber er sprach nie auch nur ein einziges Wort. Mit der Zeit wurde sie müde und sie bekam gar nicht mehr richtig mit, wenn er die Tür aufmachte. Seine Besuche fühlten sich wie ein Traum an und sie war zufrieden damit, denn das bedeutete vielleicht, dass sie doch noch aufwachen würde. Aber sie wachte nicht auf. Stattdessen kam der schwarze Mann irgendwann in das kleine Zimmer und zog den Vorhang auf.
Das plötzliche Licht blendete Amy. Sie machte die Augen zu und spürte die Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Der Mann kam näher. Er roch genau wie die Matratze, alt und vermodert, wie es manchmal im Wald roch, wenn es geregnet hatte. Der Mann machte etwas am Bettpfosten, aber sie wollte die Augen nicht öffnen. Ihr Kopf tat weh, das Licht brannte auf ihren Lidern. Sie fragte sich, ob der Mann es gleich wieder dunkel machen würde, da merkte sie auf einmal, dass sie ihre Beine bewegen konnte.
Amy öffnete die Augen und bunte Punkte tanzten durchs Zimmer. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Waden
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