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Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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aus und wartete geduldig, bis er sie sich in Ruhe angeschaut hatte.
    Der Rothaarige nahm die Pfeife aus dem Mund und tippte damit auf das Phantombild des Narbenmannes.
    »Der da«, sagte er und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, bevor er weitersprach. »Den hab ich ab und zu am Lieferanteneingang gesehen. Ich glaub, der liefert manchmal was.«
    Brady wurde aufmerksam und zückte sein Handy. »Er liefert manchmal etwas?« Das passte nun so gar nicht in seine Theorie, dass es sich bei dem Mann mit der Narbe um ein Opfer handelte, das sich nur durch den Tod seines Peinigers aus dessen Fängen befreien konnte. »Können Sie mir den Namen des Mannes nennen? Seine Adresse?«
    Der Rothaarige schüttelte den Kopf, wobei ihm die Pfeife beinahe aus dem Mund glitt. »Keinen blassen Schimmer. Aber Danny kann Ihnen da sicher was zu sagen.«
    »Danny wie weiter?«
    »Grisham. Danny Grisham. Daniel . Der Besitzer von dem Laden hier.«
    Brady notierte sich den Namen. »Am besten werde ich gleich mit ihm–«
    »Kein Chance.« Der Rothaarige tippte auf seine mattgoldene Armbanduhr. »An Silvester ist der Gute mit seiner Familie immer in London. Wenn Sie wollen, richte ich ihm aus, dass er Sie nach dem Feiertag anrufen soll.«
    Dankbar lächelnd gab Brady seine Visitenkarte weiter. Wenn es sich so anfühlte, einen Schritt weiterzukommen, wie musste es dann erst sein, einen Fall zu lösen? Dieses Gefühl würde ihn auf Dauer sogar für Sean Callahans Gesellschaft entschädigen können. »Könnten Sie ihm auch die Bilder geben?«
    »Kann ich machen, aber ich bin mir sicher. Der Junge auf dem Bild ist der Kerl, der immer das Lammfleisch liefert.« Der Rothaarige fuhr sich mit dem Finger über die Wange. »Den erkenn ich.«
    Brady spürte, wie Adrenalin in seine Venen strömte. Lammfleisch. Die Schafe auf der Weide der Farm. Wie zur Hölle passte all das zusammen?
    »Ich danke Ihnen.«
    »Immer gerne. Wir Jungs aus der Stadt müssen doch zusammenhalten.«
    Unwillkürlich fragte sich Brady, wie lange der Kerl schon aus der Stadt fort war und fand es schockierend, wie sehr man sich doch dem Landleben anpassen konnte. Der Rothaarige stieß ein kehliges Lachen aus und klopfte Brady auf die Schulter. Dann verzog er sich in Richtung Hinterzimmer.

-24-
    Die Party war furchtbar – doch die Alternative wäre noch unerträglicher gewesen. Nachdem Grace erfahren hatte, dass Amys Überreste gefunden worden waren, hatte sie ihm angeboten, Silvester mit ihm zu Hause statt bei den Mackenzies zu verbringen. Dann wäre es allerdings einer dieser Abende geworden, an denen sie zwanghaft versuchte, ihn zu überzeugen, sein Innerstes vor ihr auszubreiten. Wenn Grace aber sein Innerstes kennen würde, die tiefe Schuld, die ihn jetzt mehr denn je zerfraß, würde sie ihn zweifellos verachten. Also hatte er sich mit Kokain in einen halbwegs erträglichen Zustand gebracht, seinen besten Anzug aus dem Schrank geholt und seine Frau zu dieser schrecklichen Veranstaltung begleitet.
    Nun stand er neben ihr in einer Runde durchgestylter Mittdreißiger und tat so als würde er ihrem Smalltalk lauschen, indem er an den richtigen Stellen interessiert nickte oder überraschte Laute ausstieß. In Wahrheit konnte er diese Feier jedoch kaum ertragen. Die Lichtreflexe, die die Deckenleuchten auf die Halbglatze seines Gegenübers zauberten, das helle Lachen der Frau daneben, die aussah wie Katherine Heigl mit zwanzig Kilo zu viel auf den Rippen, die aufreizende Art, wie sie ihre Brüste in ihrem knappen Kleid platziert hatte. All das war ihm heute in höchstem Maße zuwider, es provozierte ihn regelrecht. Und vor allem nervte ihn die beißende Unzufriedenheit, die über allem hing. Jeder hier im Wohnzimmer der Mackenzies, das sie seit Neuestem Salon nannten, schien etwas sein , haben oder tun zu wollen. Die Mackenzies wollten reicher wirken als sie waren, der Kerl mit der Halbglatze wollte ins Dekolleté der Frau mit dem hellen Lachen tauchen, der halbwüchsige Sohn der Gastgeber, der schon den ganzen Abend auf dem hauseigenen Flügel herumklimperte, wollte vermutlich schnellstens zurück an seine PlayStation. Sie alle hatten ihre armseligen kleinen Wünsche, ein unsichtbares Paket aus Dingen, die ihnen zu ihrem Glück noch fehlten. Flüchtig, unwichtig und lächerlich. Amy hatte nur einen Wunsch gehabt, sie hatte bloß leben wollen. Sie war stets zufrieden gewesen, ein fröhliches, unkompliziertes Mädchen, und sie hatte nicht einmal sieben werden dürfen.
    Patrick

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