Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
Vom Netzwerk:
erkennen konnte, die da, wo das Seil gesessen hatte, matschig und wund aussahen. Dann machte der Mann auch ihre Hände los, legte sie wie bei einer Puppe links und rechts neben ihr ab. Die Seile schnitten und bissen sie nirgends mehr und sie schielte auf ihre Finger. Bewegen konnte sie sie nicht.
    Der schwarze Mann beugte sich zu ihr herunter und hob sie vom Bett auf. Sie wollte sich wehren, aber es ging nicht. Sie versuchte, etwas zu ihm zu sagen, aber das Geräusch, das sie machte, hörte sich ganz anders an, als sie erwartet hatte, es waren keine Worte, nur ein Laut, und der Mann reagierte gar nicht darauf. Er trug sie in einen schmalen Korridor. Hier gab es kein Blumenmuster an den Wänden, der Boden knarrte und es roch noch komischer als in dem Zimmer. Irgendwie süß, wie bei ihnen zu Hause, wenn ihre Mum gebacken hatte. Der Hunger krampfte ihren Bauch zusammen und sie schob den Gedanken fort, weil er ihr zu wehtat.
    Der Mann ging mit ihr eine Treppe hinab. Er lief komisch und sie hatte das Gefühl herunterzufallen. Sie hob einen Arm, aber nach ein paar Zentimetern wurde es zu anstrengend und dann war die Treppe auch schon vorbei. Der Korridor ging weiter, der süße Geruch war jetzt überall und sie hörte jemanden leise singen, eine Frauenstimme, ohne Worte, ein freundliches Summen wie bei ihrer Mutter, wenn sie richtig gute Laune hatte.
    »Mum …«, hörte sie sich selbst krächzen. Der schwarze Mann sagte nichts. Er brachte sie näher an das Summen heran, näher an den süßen Geruch. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen und aus Gewohnheit sammelte sie es, schluckte es gierig, stellte sich vor, es wäre frisch. Dann spürte sie, wie sie abgesetzt wurde. Sie konnte sich nicht auf den Beinen halten und landete unsanft auf dem Boden. Mühsam hob sie den Blick und sah die Füße einer Frau, die in weißen Sandalen steckten. Die Frau kam näher, blieb vor ihr stehen und ging in die Knie.
    »Du armes Ding«, flüsterte sie und strich ihr übers Haar.
    Amy versuchte, sich aufzurichten, aber es ging nicht, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Die Frau schien zu merken, dass sie Schwierigkeiten hatte und griff ihr unter die Arme.
    »Komm, ich helfe dir.« Sie zog Amy mühelos in die Höhe und setzte sie auf einen Stuhl. Nach all der Zeit auf dem Bett fühlte es sich seltsam an zu sitzen, ihr war schwindelig und sie befürchtete, dass sie jeden Augenblick wieder auf den Boden fallen würde. »Mein armes Mädchen, was hat man mit dir gemacht?« Wieder strich ihr die Frau übers Haar, dann nahm sie Amys lange Strähnen in ihre Hände, hielt sie zurück und betrachtete sie wie etwas, das sie kaufen wollte. »Wunderhübsch«, sagte sie schließlich leise und fing an zu lächeln. »Als ich klein war, war ich auch so hübsch.«
    Erst jetzt traute sich Amy, die Frau genauer anzusehen. Sie war jung, jünger als ihre Mum, aber irgendwas an ihr sah alt aus. Alt und traurig. Sie hatte gebräunte Haut, große, dunkle Augen und einen strengen Haarknoten. Ein bisschen erinnerte sie Amy an ihre Lehrerin aus der Vorschule. Sie dachte an ihre Klasse, an ihren Platz am Fenster neben Abigail und wie es dort immer nach Wachsmalstiften roch, und ohne dass sie es verhindern konnte, schossen neue Tränen in ihre Augen.
    »Sssht.« Die Frau beugte sich zu ihr herunter und drückte sie an sich. »Du musst nicht weinen, mein Liebling. Du bekommst jetzt eine anständige Mahlzeit und dann fühlst du dich besser.«
    Amys Magen knurrte, aber sie weinte nicht wegen einer Mahlzeit oder wegen dem Durst. »Ich will nach Hause«, sagte sie mit dieser fremden Stimme, die ihr genauso viel Angst machte wie alles andere hier.
    »Du bist zu Hause, mein Schatz«, flüsterte die Frau nah an ihrem Ohr. Dann drückte sie ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.

-23-
    Den Vormittag verbrachte Brady damit, auf einer Landkarte abzuhaken, welche der zahlreichen gleich aussehenden Bauernhöfe, Gutshäuser und Anwesen zwischen Corbally und Brittas er bereits besucht hatte. Keinem der Bewohner hatte das Bild des unbekannten Toten etwas gesagt, doch einigen kam zumindest der Mann mit der Narbe bekannt vor. Gegen Nachmittag verwies man ihn auf den einzigen Pub in Brittas, das The Blue Gardenia , und er beschloss, sich erstmal dort umzuhören.
    Brady fragte sich, warum er darauf nicht selber gekommen war. Wo, wenn nicht in einem Pub, konnte man gute Informanten finden? Alte Männer, die ein Auge auf jeden hatten, der sich durch ihren Ort bewegte. Wachsame Kellnerinnen,

Weitere Kostenlose Bücher