Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
Lockenwickler aufgezogen, die durch ein buntes Kopftuch
nur unzureichend verdeckt wurden.
»Ich?«, fragte sie und zeigte auf sich.
Nachdem der Polizist genickt hatte, löste sie sich aus der Gruppe
und kam näher.
»Kenn ich Sie? Ich glaub, ich hab Sie schon mal beim Kaufmann
gesehen. Richtig.« Der magere Zeigefinger stach durch die Luft in Christophs
Richtung. »Sie wohnen hier, oder? Da ist doch manchmal so ’ne Frau dabei. Ist
das Ihre?«
»Ich bin hier als Polizeibeamter und möchte Ihnen ein paar Fragen
stellen.«
Die Frau ließ sich nicht irritieren.
»Sagen Sie bloß, Sie wohnen auf Nordstrand. Das ist ja ’nen Ding.
Ein richtiger Oberinspektor. Und das hier – bei uns. Da lebt ja richtige
Prominenz bei uns. Peter Harry ist von Nordstrand. Und hier ein Stück weiter
wohnt –«
»Entschuldigung«, unterbrach Christoph die redselige ältere Dame.
»Es ist wirklich dringend, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten.«
Die Frau verschränkte die Arme vor der mageren Brust.
»Dann schießen Sie man los. Wat schall ick denn vertelln?«
»Können wir das Gespräch auf Hochdeutsch führen?«, bat Christoph,
der wusste, dass die Einheimischen untereinander auch im Alltag das
Plattdeutsche zur Verständigung nutzten.
»Versteegen. Sind Sie Holländerin?«, mischte sich Große Jäger ein.
»Nee. Natürlich nicht. Ich bin von hier. Original. ’ne geborene
Hansen. Aber so heißt die halbe Insel. Und mein Mann – Gott hab ihn selig –
war auch von hier. Nachdem fast alle bei der großen Mandränke abgesoffen waren …«
»Sie meinen die verheerende Buchardiflut von 1634«, unterbrach
Christoph ihren Redeschwall, »als die heutige Küstenlinie Nordfrieslands
entstand und zwei Drittel der damaligen Bewohner ums Leben gekommen sind.«
»Genau, min Jung. Da hat der Herzog Holländer ins Land geholt, die
was vom Deichbau verstanden. Einer war Vorfahr von mein Mann. Hier auf
Nordstrand gibt’s noch viele mit holländischen Namen.«
»Frau Versteegen«, erinnerte Christoph an sein Anliegen. »Sie haben
Herrn Schierling gefunden.«
»Ja. Stimmt. Ich wohn gleich nebenan. Da.« Sie zeigte auf den
Hauseingang. »Ich hab heut Morgen nix von ihm gehört. Das war ungewöhnlich.
Sonst hab ich immer sein Radio gehört. Er war so’n büschen schwerhörig. Kein
Wunder in dem Alter. Aber heute war nix. Da bin ich mal raus auf die Terrasse
und hab durchs Fenster gepliert. Man kann ja nich wissen. Sind ja lauter alte
Leute. Da kann immer was passieren. Also – ich habe mal geguckt. Und …
da lag er. Mitten im Wohnzimmer.« Sie schlug dabei mit der Faust in die offene
Handfläche. »Das mit dem Blut … Das hab ich gar nich gesehen. Ich bin also
los zur Sozialstation. Die haben einen Schlüssel. Wir sind dann rein in
Schierlings Wohnung. Mann, was hab ich mich verjagt.«
Sie legte die Hand vor den Mund.
»Haben Sie etwas Ungewöhnliches gehört? Hatte Herr Schierling
Besuch? Ist Ihnen etwas aufgefallen?«
Sie überlegte einen Moment und zog dabei die Stirn kraus. »Nee.
Eigentlich nicht. Reinweg gar nicht. Der war immer allein. Warum, weiß ich auch
nicht. Ganz selten, dass er mal mit zum Kaffee war. Aber sonst … der hat
nie ein besucht. Auch nicht umgekehrt. Ich mein, dass jemand mal zu ihm ist.«
»Waren denn Fremde bei Herrn Schierling zu Gast?«
»Kein ein Mal. Solange wir Nachbarn sind. Der hat nie viel
gesprochen. Guten Tag und guten Weg. War ein ganz ruhiger. Ein feiner Mensch.
Immer höflich, auch wenn er nichts gesagt hat. Im Sommer hat er auf der
Terrasse gesessen und gelesen. Ich hab ein paarmal versucht, mit ihm zu
schnacken. Aber da war nichts. Telse, hab ich zu mir gesagt, der will nicht.«
Plötzlich hielt sie inne und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf
Christoph. »Warten Sie mal. Inne letzte Woche. Da war so ’ne komische Frau
hier. So ’ne Blonde. Die hab ich noch nie nicht gesehen.«
»Die hat Herrn Schierling besucht?«
Sie zog die Nase kraus und streichelte mit dem Zeigefinger über den
Nasenrücken.
»Nee. Nicht so richtig. Die ist hier jümmers so ums Haus rum. Hat
geguckt. Ich hab extra drauf geachtet, ob sie wohl rein ist. Ist sie aber
nicht. Hat nicht geklingelt. Komisch, hab ich mir gesagt. Was will die bloß?«
»Wie alt war die Frau?«
»’nen ganzes Stück was jünger.«
»Ungefähr?«
»Ach, so um und bei fünfzig.« Sie drehte die Hand im Gelenk. »Aber
wie ›so eine‹ sah die nicht aus. Hätt mich auch gewundert. Hier wohn nur
anständige
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