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Nebelfront - Hinterm Deich Krimi

Nebelfront - Hinterm Deich Krimi

Titel: Nebelfront - Hinterm Deich Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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dann da und wage nicht zu atmen, höre auf jedes
Geräusch. Im Herbst ist es besonders schlimm. Wenn es draußen stürmt und die
Fenster knarren, glaube ich, er kommt. Dann taucht alles wieder vor mir auf.
Jede Nacht das Gleiche. Dieses elendige Schwein.«
    Mit Sorge registrierte Große Jäger, wie Holger Kruschnicke zu
zittern begann. Endlich schien es so weit zu sein, dass jemand sprach, die
Schatten, die über den Ereignissen vor vierzig Jahren lagen, auflöste. Durfte
das aber auf Kosten der Gesundheit der beiden Männer erfolgen? Schwere
Gewissensbisse peinigten den Oberkommissar.
    »Scheiße sagt man nicht. Hat meine Mama gesagt«, erklärte Lenny in
die angespannte Situation hinein. Dann hielt er sich die Hand vor den Mund und
kicherte. »Scheiße. Scheiße. Scheiße«, wisperte er.
    Mit diesem Fäkalausdruck hatte alles angefangen, dachte Große Jäger.
Das, was Lenny nicht aussprechen sollte, hatten Unbekannte in Dr. Pferdekamps
Grab geschüttet. Behutsam legte er seine Hand auf Buschinskis Unterarm.
Zunächst schien es, als würde der Mann erschrocken zurückzucken. Dann ließ er
es geschehen.
    »Adolph Schierling«, riet Große Jäger. Er sah, wie Buschinskis Augen
feucht glänzten. Unmerklich nickte der Mann.
    »Und er hat sich an allen Jungs vergriffen?«
    Kruschnicke wandte seinen Blick ab, während sein Freund heftig
schluckte.
    »Er hatte die Auswahl. Lauter Jungs. Und das Grauenvolle daran war,
dass er mit gierigem Blick manchmal schon am Nachmittag ankündigte, wen er sich
abends holen würde.«
    »Konnte man sich nicht zur Wehr setzen?«
    »Wie denn? Wer aufmuckte, bekam Prügel vom Hausmeister. Hohenhausen
hat wahllos auf uns eingeschlagen. Gleich, um was es ging – es gab
Schläge. Und vorgebliche Gründe fanden die immer. Auch wenn man sich nichts
hatte zuschulden kommen lassen, wurde etwas unterstellt. Und dann gab es
Schläge.«
    »Hat die Lehrerin, Josefa Wendelstein, das nicht mitbekommen?«
    »Natürlich. Die alte Hexe hat doch selbst den Hohenhausen
losgeschickt, uns zu verprügeln. ›Das sind alles kleine Verbrecher‹, hat sie
gesagt. ›Dem asozialen Pack muss man das Übel austreiben.‹« Buschinski seufzte.
»Irgendwann war es gleich, was wir taten. Wir waren abgestempelt. Allmählich
entwickelten wir uns zu dem, was man uns immer wieder vorbetete. Wir nahmen
keine Rücksicht mehr. Wir schlugen uns mit den Kindern aus der Stadt, wir
klauten. Warum auch nicht? Es machte ja keinen Unterschied.«
    Große Jäger erinnerte sich an Aussagen der Einheimischen, die
behaupteten, im St.-Josef-Heim hätten nur »Verbrecher« gewohnt.
    »Wenn wir etwas getan hatten, gab es Prügel durch den Hausmeister
oder Arrest in der Besenkammer. Wir mussten auf dem Fußboden schlafen, im
Winter nur mit einer Wolldecke. Am zweiten Tag kam Schierling und wollte ein
Gelöbnis, dass wir uns bessern. Wir mussten ihm zu Diensten sein, um der Hölle
des Arrests zu entfliehen. Der Grund für den Arrest wurde frei erfunden. Man
konnte machen, was man wollte. Es wurde einfach ein Fehlverhalten unterstellt.«
    Große Jäger lief ein eiskalter Schauder über den Rücken. Wie grausam
musste das damals gewesen sein. Missbrauch mit Ansage. Was mussten die Kinder
gezittert haben, wenn sie wussten, in zwei Tagen wurden sie missbraucht.
    »Wer war noch an den Misshandlungen beteiligt?«
    »Reicht das nicht?« Buschinski schrie es Große Jäger ins Gesicht.
Dabei benetzte ein feiner Sprühregen von Speichel das Antlitz des
Oberkommissars.
    »Hat sich Josefa Wendelstein aktiv daran beteiligt?«
    »Sie hat weggesehen. Aber das hat sie ja gelernt im Dritten Reich.
Auch da hat sie erfolgreich weggesehen.«
    Mit Sorge sah Große Jäger, wie sich auf Holger Kruschnickes blasser
Stirn dicke Schweißperlen bildeten. Die Fingerspitzen waren schneeweiß. Der
Mann zitterte, als würde er unter einem heftigen Schüttelfrost leiden.
    Lenny streckte vorsichtig seine Hand aus, zog sie zurück und
berührte schließlich doch Kruschnicke.
    »Du bist mein Freund.«
    Der schien Lennys Annäherung gar nicht wahrzunehmen.
    »Bist du traurig wegen der Blumen?«, fragte Lenny und beugte sich so
weit vor, dass seine Nasenspitze fast Kruschnickes berührte.
    »Und Hohenhausen, dieses Schwein, konnte nicht genug kriegen. Holger
hat ihn dabei erwischt, wie er auf dem Grab alle Blumen zertrampelt hat.
Verstehen Sie das? Nein! Wie sollten Sie auch. Blumen … das ist Holgers
Welt.«
    Große Jäger verzichtete auf eine Antwort. Das war ihm

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