Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
beobachtete, wem der Besuch der
Polizei galt.
Anneliese Lennartz war mit Hausarbeiten beschäftigt und bemerkte den
Polizisten erst, als er an der Wohnungstür klingelte.
»Moin«, begrüßte sie Große Jäger und bat ihn herein. »Sie wollen zu
Armin? Muss es sein? Der Junge hat Ihnen doch alles erzählt.«
»Ich möchte ein Versprechen einlösen«, erwiderte der Oberkommissar,
»und Lenny zu einer Fahrt im Polizeiauto abholen.«
»Ich möchte nicht, dass Sie ihn Lenny nennen«, sagte die Mutter.
Dann strahlte sie. »Es gibt kaum jemanden, der an uns denkt.«
Sie holte ihren Sohn.
»Auto fahren?« Lenny hatte vor Aufregung Schwierigkeiten zu
sprechen. Seine Mutter musste ihn schon informiert haben.
»Du hast uns geholfen, und ich habe dir gesagt, wir werden mit dem
Streifenwagen fahren.«
Lenny eilte zur Tür und war nur mit Mühe zurückzuhalten.
»Du musst dich erst anziehen«, erklärte seine Mutter ungehört. Dann
vergewisserte sie sich noch einmal bei Große Jäger, ob sein Angebot wirklich
galt.
Nachdem es gelungen war, Lenny für den Ausgang fertig zu machen,
begleitete Anneliese Lennartz die beiden zu dem blau-silbernen Fahrzeug, das
vor der Tür stand und von mehreren Kindern umringt wurde. Auch drei Erwachsene
hatten sich eingefunden.
»Was hat der Bengel getan?«, wollte ein Mann wissen.
»Der Polizei wertvolle Dienste erwiesen«, erwiderte Große Jäger und
ließ die Frage nach dem »Wieso?« und »Warum?« unbeantwortet.
»Klasse, Lenny. Das ist geil. Das will ich auch« und »Darf ich auch
mit?«, lauteten die Kommentare der Kinder.
Große Jäger half Lenny auf den Beifahrersitz, schnallte ihn fest und
griff zur Rückbank. Dort hatte er eine Polizeimütze deponiert, die er Lenny
aufsetzte. Den störte es nicht, dass die Kopfbedeckung ein wenig zu groß war
und auf den Ohren auflag. Er war die personifizierte Glückseligkeit.
Der Oberkommissar ließ den Wagen langsam die Mommsenstraße
entlangrollen, während Lenny damit beschäftigt war, staunend die Ausstattung
des Fahrzeugs zu erkunden.
Große Jäger bog in die Schleswiger Chaussee Richtung Innenstadt ab,
und kurz bevor diese in die Flensburger Chaussee mündete, schaltete er das
Blaulicht und das Martinshorn ein. Lenny zitterte vor Aufregung, als sie beim
»Einstein«, das einmal zur besten Whiskykneipe Deutschlands gekürt worden war,
andere Autos zum Halten zwangen. Das galt auch für die Fahrzeuge, die in der
Einbahnstraße an die Seite fuhren und Platz machten.
Erst kurz vor dem Binnenhafen schaltete Große Jäger die
Einsatzsignale wieder ab. Dann parkte er vor der malerischen Häuserzeile, die
den Husumer Hafen säumte. Große Jäger hatte Mühe, Lenny davon zu überzeugen,
dass er nun die Polizeimütze absetzen müsse.
Sie schlenderten am Restaurantschiff Nordertor vorbei, einem alten
Fördedampfer, der hier seinen Platz gefunden hatte, und steuerten eine Eisdiele
an.
Lennys kindliche Freude war ansteckend. Sie sprang nicht nur auf
Große Jäger über, sondern begeisterte auch die Gäste des Eissalons an den
Nachbartischen.
Beiläufig kam Große Jäger auf den Friedhof zu sprechen, von dem
Lenny behauptete, es sei seiner.
»Du erinnerst dich an das offene Grab, das du deinem Freund Henry
Vollstedt gezeigt hast?«
Lenny schob einen Löffel Eis in den Mund und achtete nicht darauf,
dass es ihm an den Mundwinkeln heruntertropfte. Er nickte heftig.
»Warst du öfter an diesem Grab?«
»Das ist mein Friedhof«, erklärte Lenny.
Große Jäger bestätigte es ihm.
»Hast du gesehen, dass noch jemand an diesem Grab war?«
»Ja. Hab ich.«
»Kannst du mir den beschreiben?«
Lenny schüttelte den Kopf. Schließlich erklärte er mit vollem Mund,
sodass es kaum zu verstehen war: »Das war Holger.«
»Kennst du Holger?«
»Das ist mein Freund. So wie Henry. Und du.«
Nachdem Lenny eine große Portion weggeschaufelt hatte, kehrten sie
zum Streifenwagen zurück, Lenny bekam wieder die Mütze aufgesetzt, und Große
Jäger verließ die Stadt in nördlicher Richtung. Allerdings verzichtete er jetzt
auf den Einsatz der Signale, die anderen Verkehrsteilnehmern seine Sonderrechte
kundtun würden. Sie kamen auch ohne Blaulicht zügig voran und erreichten bald
darauf Breklum.
Er hatte Glück. Dr. Jamali war nicht im Hause. Eine freundliche
Krankenschwester bot sich an, Holger Kruschnicke zu suchen. Sie fand ihn in
einem Aufenthaltsraum, in dem er mit Peter Buschinski saß. Die beiden Männer
sahen auf, als Lenny und Große Jäger
Weitere Kostenlose Bücher