Nebelgrab (German Edition)
müsste dort …«
»Sie können den Bücherschrank ansehen, ansonsten fassen Sie bitte nichts an.«
»Ja, gut.«
Adrian öffnete vorsichtig den gläsernen, unversehrten Bücherschrank. Es standen jede Menge Werke zu religiösen Themen dort, viele Liederblättchen der vergangenen Irmgardisfeiern ebenso wie Hefte mit Gebeten und Liedern von Wallfahrten nach Kevelaer. Für seine Tante waren diese Fahrten und Feste Höhepunkte des Jahres gewesen. Als Kind hatte er oft genug anwesend sein müssen, so waren ihm die Rituale und Abläufe solcher Tage geläufig. Adrian blätterte kurz in verschiedenen Ausgaben; er musste dieses Spielchen noch eine Weile durchhalten. Es schien, als klopfe der Inhalt des Briefes in seinem Rucksack an seinen Rücken.
Die skeptischen Blicke der beiden Kommissare lasteten auf jeder seiner Bewegungen. Er tat, als merke er nichts. Es fiel ihm ein Buch in die Hände, das sich augenscheinlich ausführlich mit dem Leben der in Süchteln als heilig geltenden Irmgard befasste. Beim Blättern fielen ihm etliche angestrichene Stellen auf und mittendrin steckte eine Karte. Ihm stockte der Atem, als er die Handschrift erkannte. Unterschrieben waren die kurzen Zeilen mit »Konrad«.
Meine liebe Martha, zu deinen treuen Händen reiche ich dir einige Kapitel meines Buches, in dem ich die Ereignisse, die uns damals überrannten, schildere. Am Ende des Lebens sollte reiner Tisch gemacht werden.
Ich melde mich bei dir – sei so gut und heb so lange diese Seiten auf.
Konrad
»Haben Sie’ s gefunden?«, fragte Kommissar Freund und kam näher.
Adrian klappte das Buch zu und nickte. »Ja, es ist dieses hier – alter Familienbesitz.«
Er steckte das Werk in seinen Rucksack und wandte sich zum Gehen.
»Lassen Sie bitte Ihre Adresse da; wir werden vielleicht noch auf Sie zurückkommen.«
Adrian ergriff den Zettel und den Stift, die ihm gereicht wurden, und schrieb mit zittriger Hand seine Daten auf. Der Kommissar sah ihn wieder mit diesem prüfenden Blick an und stellte noch einige Fragen. Da tickerte der Gedanke an seine Fingerabdrücke, die er am Schrank und an der Tür hinterlassen hatte, durch Adrians Gehirn wie eine Eilmeldung einer Nachrichtenagentur. War die Spurensicherung schon durch? Kamen sie nochmal wieder? Was, wenn sie seine Fingerabdrücke überprüften? Er blickte schnell auf die kleine Vitrine, die bisher noch keine Aufmerksamkeit erregt hatte, und überlegte, wie er nochmals den Schrank anfassen könnte, ohne Skepsis zu erzeugen.
Er versuchte einen offenen Angriff.
»Was genau suchen Sie eigentlich hier?«, fragte er und wies auf den zweiten Kommissar, der begonnen hatte, das Zimmer systematisch zu untersuchen. Der Angesprochene zog eine Augenbraue nach oben und schien zu überlegen, ob die Frage ernst gemeint war.
»Ihre Tante ist ermordet worden«, sagte er.
»Ja, ich weiß. Glauben Sie wirklich, der Täter hat hier irgendwo seine Visitenkarte hinterlassen?«
»Sie sind ein Komiker, was?«
»Nein, wieso?«
Kommissar Freund kratzte sich am Kopf.
»Junger Mann«, erwiderte er und nahm das Papier und den Stift wieder entgegen, »wir suchen nach Hinweisen. Hinweise, die auf den Täter schließen lassen, oder Hinweise auf das Motiv. Alles klar?«
Adrian ging beherzt zur kleinen Vitrine. »Also, wenn es um Vermögenswerte ging, so hatte meine Tante hier hinter ein kleines Versteck.«
Er demonstrierte die lose Rückwand. Interessiert kam der Beamte näher. Ihm schien eine Bemerkung auf den Lippen zu liegen. Als sich jedoch nichts zum Vorschein holen ließ, blickte er Adrian mit mokantem Lächeln an.
»Lassen Sie uns mal lieber die Arbeit machen, danke.«
Er schob Adrian aus dem Zimmer.
»Ich wollte nur helfen«, protestierte der schwach und verbot sich ein Grinsen. Im Hinausgehen griff er scheinbar gedankenverloren an den Türgriff und erkundigte sich zum Abschluss über die Dauer der Untersuchung und wann seine Eltern die Wohnung räumen könnten.
Wenige Minuten später erreichte er wieder das Erdgeschoss des Hauses und bemerkte eine Frau Anfang 40, die offensichtlich verärgert mit einem Altenpfleger sprach, dessen devote Körperhaltung fast peinlich grotesk wirkte. Da Adrian über die Treppe nach unten gekommen war, hatten die beiden ihn noch nicht bemerkt. Wäre er aus dem Aufzug gekommen, hätten sie ihr Gespräch sicherlich unterbrochen. So hörte er, wie der Mann sagte: »Ich schwöre, Frau Lorenz, ich habe nichts weiter gemacht, als die Brille zu
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