Nebelgrab (German Edition)
1945 erreicht hatte, hatte ihren Entschluss bestärkt, in der Eifel zu bleiben und dort ein neues Leben zu beginnen. Lene hatte ein einfaches Zimmer in Krefeld bezogen und arbeitete als Sekretärin bei einer Textilfirma.
Hubert und Käthe, die sich während Huberts Schanzeinsatz bei Mönchengladbach kennengelernt hatten – Käthe hatte die Kinder und Jugendlichen, die man dort ebenfalls herangezogen hatte, mit ein wenig Brot und Resten von ihrem Hof versorgt – hoben ihrerseits die Gläser und prosteten.
»Vater, hast du schon gehört, dass man überlegt, die alte Linde oben zu fällen?«
Johann grunzte die Antwort mehr, als dass er sie sprach: »Nichts bleibt, wie es ist, Junge.«
»Ich denke, wir sollten morgen mal in den Wald gehen und die Kapelle und das Irmgardispöttsche besuchen, was meinst du, Lene? Dann können wir sehen, ob der Baum wirklich so kaputt ist, wie man sagt. Gehen wir nach dem Rechten sehen. Vielleicht sprudelt die Quelle gar nicht mehr.«
Mit einem vielsagenden Blick schaute er Lene an, die sich dabei fast verschluckte.
»Hältst du es für nötig, nach dem Rechten zu sehen?«, fragte sie zurück und hustete kurz. Hubert nickte und grinste durch sein Wasserglas hindurch.
Keiner von den Eingeweihten hatte seit Kriegsende von der versteckten Tasche gesprochen.
Einmal noch hatten sie beieinander gesessen und beratschlagt, was sie tun könnten. Der Schock über den Mord auf der Hochstraße hatte besonders Sophie in den Knochen gesessen. Lene und sie hatten es für das Beste gehalten, Stillschweigen zu bewahren und in den Kriegswirren nicht die Aufmerksamkeit der Gestapo auf sich zu ziehen.
Dann war Huberts Einzug ins Militär gekommen. Man hatte ihn buddeln lassen, um die Panzer der Alliierten aufzuhalten; man hatte ihn und viele andere, die zunächst für untauglich gehalten worden waren, zum Fronteinsatz holen wollen. Aus Verzweiflung, fort zu müssen, sein Leben zu riskieren und die neu gewonnene Liebe zu Käthe aufgeben zu müssen, hatte Hubert seinen Freund Konrad gebeten, ihm mit einer Schaufel eine Verletzung am Fuß zuzufügen. Der Plan hatte funktioniert. Hubert hatte nicht fort gemusst, dafür jedoch für zwei Monate mit einer Blutvergiftung und deren Folgen bei denkbar schlechter ärztlicher Versorgung im Spital gelegen.
Nach Kriegsende und dem ersten Durchatmen der Bevölkerung war die Schadensbekämpfung vor der Existenzsicherung und Zukunftsplänen Priorität des Alltags gewesen. Niemand der Vier hatte sich mit den Fundstücken beschäftigen und das Risiko eingehen wollen, eine erneute Gefahr auszulösen. Der Schrecken des Krieges war zu groß gewesen; die Zeit der Aufregung hatte vorbei sein sollen.
Nach dem Abendbrot erklärte Hubert seiner Cousine unter vier Augen: »Ich habe Konrad noch einmal gebeten zu kommen. Er wird eine Kamera mit Rollfilm mitbringen und die Fundstücke fotografieren. So kann er seinen Professor um Hilfe bitten, ohne verdächtigt zu werden. Er wird sagen, dass er die Bilder von einem Freund bekommen hat.«
Lene zweifelte. »Auf den Bildern wird man nicht viel sehen können, das weißt du so gut wie ich. Niemand kann mittels einer Fotografie die Echtheit oder Herkunft von Antiquitäten bestimmen.«
»Es kommt erst einmal darauf an, wie dieser Professor reagiert. Die erste Reaktion, Lene, ist entscheidend. Es kann das Flattern seines Augenlides sein, das uns bestätigt: Wir haben es mit etwas Wertvollem zu tun!«
»Und du glaubst, dein Freund ist vertrauenswürdig?«
»Absolut! Er kennt unser Geheimnis seit fünf Jahren und hat niemandem davon erzählt.«
»Warum lassen wir die Sache nicht auf sich beruhen oder geben die Tasche in die Hände eines großen Museums – ohne das Pergament?«
»Lene! Du willst die Sensation verheimlichen? Das könnte der Beweis für die Richtigkeit der Legende über unsere Irmgard sein!«
»Oder der Beweis für falsche Annahmen.«
»Wie auch immer – ich habe Konrad für morgen Abend eingeladen, und Martha und Sophie sind ebenfalls informiert. Morgen früh treffen wir uns mit ihnen nach dem Gottesdienst am Wald.«
In der folgenden Nacht hörte das Herz Johann Beckers auf zu schlagen.
Eine Woche später
Lene spazierte die Bergstraße hinauf. Sie schlenderte am Pensionat vorbei und zögerte einen Moment, entschied sich dann aber, nicht hineinzugehen. Es gab immer noch zu betreuende Kinder in dem Haus, aber es schien, als wäre die Bestimmung des Gebäudes einem dauernden Wandel unterworfen. Es war zur
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