Nebelgrab (German Edition)
hatte sich zum Abend hin geklärt. Das war wunderbar. Nun hatte sie wieder die alten Probleme, die wohlbekannten, die, für die sie einfach keine Lösung fand. Aber dieser Konrad … er machte einen guten Eindruck. Vielleicht war er so integer, wie Hubert behauptet hatte. Vielleicht wusste er Rat.
Konrad hatte die angekündigten Fotografien gemacht. Er entschuldigte sich umfangreich für sein eigenmächtiges Handeln.
»Ich dachte, nach Johanns Tod und der Beerdigungszeremonie wäre dir nicht nach Schatzsuche zumute. Also habe ich die Tasche aus dem Versteck geholt und habe zu Hause die Fotos gemacht. Ich werde sie meinem Professor zeigen, sobald er von seiner Auslandsreise wieder zurück ist. Ich weiß allerdings nicht, wann das sein wird.«
»Aber er kommt wieder zurück?«, fragte Hubert gespannt.
»Ja, sicher. Und er ist der einzige, dem ich in dieser Sache vertraue. So, jetzt müsst ihr mir aber bitte die Geschichte eurer heiligen Irmgard erzählen. Ich weiß nämlich immer noch nicht, wieso ihr befürchtet, die Stadt könne Schaden erleiden. Ein solcher Fund, sofern er authentisch ist, beweist doch eigentlich nur die Wichtigkeit der Geschichte und nicht umgekehrt.«
Hubert und die anderen sahen sich etwas unsicher an, aber Lene ergriff das Wort.
Sie erzählte Konrad von der reichen Jungfrau, die all ihr Vermögen der Kirche abgetreten hatte. Als Tochter des Grafen von Rees hatten ihr neben Geldwerten auch zahlreiche Ländereien gehört, die an Sankt Pantaleon in Köln gefallen waren. In Köln hatte sie ein Krankenhaus für Arme gebaut. Drei Pilgerreisen nach Rom hatte sie unternommen und einen Teil ihres Lebens in den Süchtelner Höhen verbracht, sich von den Gaben des Waldes ernährt und sich bei Gefahr in der Linde versteckt. Damals, im 11. Jahrhundert, war die Gegend des gegenwärtigen Süchtelns noch voller Sümpfe und Morast. Das Leben war ohnehin nicht leicht gewesen und als hilflose Frau hatte man sich ungeahnten Gefahren ausgesetzt, wenn man allein in der Wildnis lebte.
»Ich verstehe immer noch nicht die Brisanz des Themas«, warf Konrad ein, »auf einer der Reisen soll sie den Schädel bekommen haben, nicht wahr?«
Lene nickte. »Ja, als Dank.«
»Merkwürdiges Geschenk«, sagte Konrad, »wenn also der Schädel tatsächlich aus dieser Zeit stammt, wäre das doch eine großartige Sensation, eine Bestätigung dieser Legende!« Er sah Beifall heischend in die Runde.
»Schon«, gab Hubert zu, »aber die anderen Dinge können wir nicht zuordnen. Es war nie die Rede von einem Pektoral oder einem Ring.«
»Dass Irmgard in Rom war, wäre nicht so sensationell. Wenn sie wirklich eine so fromme Frau war, die auch missionarisch unterwegs gewesen ist, ist es fast normal, dass sie diese Reisen auf sich genommen hat«, sagte Lene.
»Dann erklärt mir doch bitte mal das Schwierige«, bat Konrad zum wiederholten Male.
»Es hat mit dem Pergament zu tun«, sagte Hubert.
Die Tasche, die nun eine andere war, weil Konrad es für klüger gehalten hatte, nicht das Original zu verwenden, wurde auf den Tisch gehoben, um den Konrad, Käthe, Lene und Hubert saßen. Vorsichtig holte Lene den Inhalt, den sie schon mehrere Jahre nicht gesehen hatte, hervor. Käthe, die die Dinge zum ersten Mal sah, bekam glühende Wangen, als Lene das Pektoral aus dem Beutel holte. Lene fasste alles mit fast frommer Ehrfurcht an und war dankbar dafür, dass sie nicht mehr der Gestapo in die Hände fallen konnten. Der Gedanke an den vermeintlichen Bruder des Soldaten, der so rasch sein Ende gefunden hatte, war nach wie vor beunruhigend.
Langsam öffnete sie die Mappe mit dem Pergament.
»Siehst du die Schrift?«, fragte sie Konrad. »Hubert hat mit einigen Schwierigkeiten die Sätze übersetzt. Es ist nicht mehr alles zu lesen, siehst du? Aber hier und hier, das sind eindeutige Wörter, und diese Wörter bedeuten, dass Irmgard nicht so keusch gelebt hat, wie immer behauptet wird. Hier steht, dass sie ein Kind hatte, und hier, das könnte bedeuten, dass sie etwas geschenkt bekommen hat, damit sie Mittel hat, das Kind zu ernähren. Vermutlich hat sie das Kind erst bekommen, nachdem sie alle Besitztümer abgetreten hat. Es ist nie die Rede von einem Mann in ihrem Leben gewesen, verstehst du? Ihre ganze Geschichte wäre falsch, wenn rauskäme, dass die heilige Irmgard sich mit einem Mann eingelassen hat, den sie dann aber nicht geheiratet hat. Es ist zu vermuten, dass ihr dieses, sagen wir mal, Missgeschick in Rom passiert ist. Jemand,
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