Nebelriss
Rochengebirge, zu einer Zeit, als der Arkwald noch unbewohnt war. Ohne unsere Magie wäre er das noch immer. Unsere Zauber halten das wilde Getier von Euren Siedlungen fern und zähmen den unbändigen Wuchs des Waldes. Der Malkuda verdankt Ihr es, dass das Rochenland jemals von Menschen besiedelt werden konnte.«
Cercinor lachte auf. »Oh, dann müssen wir Euch wohl dankbar sein für die Jahrhunderte der Ausbeutung?« Sein Blick verfinsterte sich. »Die Malkuda sah stets tatenlos zu, wenn das Rochenland unter den Feldzügen der Kathyger litt. Nie half Oors Caundis uns, wenn die Truppen des Königs durch den Arkwald zogen, um zu plündern und zu morden. Und auch diesmal verkriecht Ihr Euch in Euren Höhlen im Rochen, während unsere Dörfer brennen. Die Menschen kämpfen verzweifelt gegen die Echsen, die das Rochenland verwüsten, doch in Oors Caundis schweigt man!« Wütend sprang er von dem Baumstumpf auf, auf dem er gesessen hatte. »Dabei waren wir es, die Euch vor den Goldei retteten! Sie zogen in den Arkwald, um Eure Logenburg im Rochengebirge aufzuspüren, um sie einzuäschern, wie sie es zuvor mit den Universitäten in Kathyga taten. Hätten wir die Goldei nicht bei den IlmoraSteinen in einen Hinterhalt gelockt, wäre Oors Caundis heute nicht mehr als ein Häuflein zerschlagenes Gestein!«
Die Besucherin verzog herablassend den Mund. »Ihr führt euch auf, als hättet Ihr die Goldei samt und sonders in die Flucht geschlagen. Musstet Ihr nicht vielmehr vor ihrer Übermacht zurückweichen?«
»Wir haben sie aufgehalten!«, schrie Cercinor erbost. »Vierzig Goldei haben wir bei Ilmora erschlagen. So hinderten wir sie daran, ihren Weg nach Oors Caundis fortzusetzen. Die überlebenden Echsen halten sich noch immer bei den Steinen von Ilmora auf, und meine Bogenschützen wachen darüber, dass sie sich nicht nach Surgissa zurückziehen können.«
Die Zauberin schüttelte den Kopf. »Man sagte mir, Baron Eidrom in Surgissa habe sechshundert Mann zusammengetrommelt, um den Goldei zu Hilfe zu eilen. In spätestens vier Tagen werden sie Ilmora erreicht haben, und wenn Ihr Euch nicht vorseht, wird man Eure Männer von den Baumwipfeln herunterholen wie reife Äpfel.«
»Wenn ich falle, wird Oors Caundis bald darauf fallen«, rief Cercinor. »All Eure Zauberei wird Euch nichts nützen, wenn die Goldei die Logenburg erstürmen!«
»Das lasst unsere Sorge sein«, sagte die Zauberin, und stolz warf sie den Kopf zurück, sodass ihr Zopf durch die Luft tanzte. »Genug des Geplänkels, Cercinor! Ebenso wie ihr der Malkuda misstraut, misstraut die Malkuda Euch. Ich wäre nicht gekommen, wenn Euer Bote uns nicht eindringlich darum gebeten hätte - und wenn er nicht von dem seltsamen Jungen berichtet hätte, den Ihr angeblich aus der Gewalt der Goldei befreien konntet.« Cercinor strich sich über das kurz geschorene Haar. »Seltsam - in der Tat, Zauberin! Dieser Junge gibt uns einige Rätsel auf.«
»Es heißt, Ihr hättet ihn in einer Kiste aus Gold gefunden«, sagte die Zauberin. »Wo ist diese Kiste geblieben?« »Wir mussten sie bei Ilmora zurücklassen«, erwiderte Cercinor. »Es schien mir wichtiger, den Jungen in Sicherheit zu bringen.« Er hielt inne, und seine Hand fuhr durch die Luft, als wollte er einen quälenden Gedanken vertreiben. »Drei Tage lang sprach er kein Wort, nahm kaum Wasser und Nahrung zu sich. Erst dann konnte ich sein Vertrauen gewinnen und ihm einige Worte entlocken. Sein Name ist Laghanos, und er war offenbar ein Schüler der Magischen Universität von Larambroge. Dort nahmen die Goldei ihn gefangen. Was danach mit ihm geschah, kann er nicht sagen; er spürte es nicht, dass sie ihn …«, er suchte nach Worten, »… dass sie sein Gesicht … nun, Ihr werdet es selbst sehen.«
Ungläubig blickte die Frau ihn an. »Die Echsen nahmen ihn gefangen und sperrten ihn in eine goldene Kiste wie ein wildes Tier?«
»Es gab noch drei weitere Kisten«, fuhr Cercinor fort, »doch sie waren größer und schwerer. Ob sich auch in ihnen Menschen befanden, kann ich nicht sagen. Fest steht, dass der Junge mich bat, einen Boten nach Oors Caundis zu senden und den Logenmeister um Hilfe anzurufen.«
Die Frau nickte. »Malcoran wünscht, dass ich mir den Jungen näher ansehe.« Eindringlich blickte sie Cercinor in die Augen. »Zeigt ihn mir! Ich will sehen, ob Eure Geschichte wahr ist.« Langsam richtete sie sich auf. Cercinor sprang auf sie zu und packte ihren Arm. »Nicht so schnell, Zauberin«, zischte er.
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