Nebelschleier
Kommissar.
»Nein, kann er nicht«, sagte Bohnsack noch einmal bestimmt, und es sollte wohl witzig klingen, als er hinzufügte: »Und wenn wir deine Hilfe brauchen, Angermüller, melden wir uns.«
»Ade Rosi, wir sehen uns später!«
»Komm doch zum Abendessen, Schorsch! Ich mach Zwiebelkuchen!«
»Mach ich, danke Rosi!«
3
Über den zartblauen Himmel hatte sich ein feiner Schleier gelegt, durch den eine milde Nachmittagssonne schien, und es war angenehm warm. In einem tiefen Rot prangten die Blätter des wilden Weines auf den weiß gekalkten Mauern der alten Stallungen, hinter denen eine Wiese lag, die den Kühen als Auslauf diente. Die Tiere standen alle in einer Ecke und gingen gleichmütig ihrer Bestimmung nach. Während sie unablässig mit den Kiefern mahlten, schienen sie Angermüller aufmerksam zu mustern, als er den Weg entlang am Elektrozaun in Richtung Schlosspark nahm. Doch Angermüller verschwendete für seine Umgebung keinen Blick.
Im Kollegenkreis war er bekannt für seine ruhige und überlegte Art. Wer ihm erstmals begegnete, unterschätzte ihn meist, wenn er ebenso geduldig wie beharrlich, durch Beobachten, Kombinieren und Interpretieren den Problemen auf den Leib rückte. Es gab jedoch Dinge, die selbst Angermüller in kürzester Zeit in Rage brachten, und gerade eben war das wieder einmal geschehen. Er brauchte jetzt Bewegung, um seiner Erregung Herr zu werden. Lange schon war er keinem so arroganten Affen wie diesem Coburger Kollegen begegnet. Der hatte ihn behandelt wie einen dummen Jungen, wie irgendeinen lästigen Schlaumeier, der sich unbefugt in die Polizeiarbeit mischen wollte. Dabei hatte er das nie vorgehabt – jedenfalls nicht bis zu dem Augenblick, da Rosi ihn so inständig um Hilfe gebeten hatte … Es war ihm vorher prächtig gelungen, sich nicht mit dem Fall Steinlein zu beschäftigen, seinen Kopf von allen Gedanken daran frei zu halten. Und jetzt? Was hatte er sich da wieder aufgehalst, verdammt! Warum war er nicht hart bei einem Nein geblieben? Am meisten ärgerte er sich über sich selbst und kickte wütend mit dem Fuß einen Stein weg, der vor ihm auf dem Trampelpfad lag.
»Excuse us!«
Überrascht hob Angermüller den Kopf. Vor ihm stand freundlich lächelnd ein älteres Paar.
»Do you speak English? «
»Yes«, antwortete Angermüller etwas zögerlich und versuchte, vom Wüten in seinem Kopf auf die Fremdsprache umzustellen.
»Would you mind helping us, Sir?«
Der alte Herr mit dem ziemlich wirren Haar, in einem etwas zu locker sitzenden, hellen Anzug, auf der Nase eine altmodische Brille, hielt Angermüller eine Landkarte entgegen.
»How do we get to the castle from here?«
»That is easy.«
So einfach war die Erklärung auf Englisch für den Weg zum Schloss dann doch nicht.
»Just come with me«, bot Angermüller schließlich den beiden an. Es konnte ja nicht schaden, wenn er noch einmal einen Blick in die Felsengrotte warf, wo er ohnehin schon den Weg in ihre Richtung eingeschlagen hatte.
»Oh, that is very kind of you, thank you so much!«
Die Herrschaften waren auf angenehme Art gesprächig. Sie kamen aus England und wollten die Rosenau sehen, die von Queen Victoria so geschätzte Sommerfrische – Vicky’s most beloved summer residence – wie sie es ausdrückten. Die Dame in ihrem hellblauen Kostüm mit dem honigblond gefärbten Haar erzählte freimütig, dass sie beide in diesem Frühjahr 80 geworden waren, was ihrer Unternehmungslust aber keinen Abbruch zu tun schien. Sie waren viel auf Reisen in Europa – »on the continent« sagte sie dazu –, wenn auch bedauerlicherweise zum ersten Mal nicht mit dem eigenen Wagen – ihrem »good, old Jag« –, sondern mit dem Bus in einer Reisegruppe unterwegs. Jetzt hatten sie sich davongestohlen, um allein und in aller Ruhe dem Schloss einen Besuch abstatten zu können. Sie schloss ihre Sätze meist mit einem »Isn’t it, honey?« und bekam von ihrem Gatten regelmäßig die Antwort »That’s right, dear!«. Auch Angermüller steuerte etwas zur Unterhaltung bei und erzählte die Geschichte seines Urgroßvaters, der zumindest einmal die Kutsche der Queen bei einem ihrer Besuche auf der Rosenau gelenkt haben soll.
»Oh really, is that true?«
Die charmanten englischen Senioren waren davon zutiefst beeindruckt. Dann waren sie an der Felsengrotte angelangt.
»What a romantic place!«
Da der Weg zum Schloss nicht mehr zu verfehlen war, verabschiedete sich Angermüller. Seine Weggefährten reichten ihm die
Weitere Kostenlose Bücher