Nebelschleier
Schauplatz des Scheunenbrandes.
»Der Motschmanns Erwin, des is aa so e Lumpenhund, der wo net genuch kriechn ko.«
»Wieso, Mamma?«
»Nu ja, der will seine Felder ja aa an die Firma mit dera Gentechnik verkaafn, un wer weiß, wer den sei Scheunen agezünd hat …«
»Das hab ich mich auch schon gefragt …«
»Des is doch sowieso a alts Gehötsch gwesn, wo nix wie Gerümpel drin gstandn is, und bstimmt war des aa gut versichert«, sagte sie voller Überzeugung.
»Da hab ich ja noch gar nicht dran gedacht! Mensch, das ist ein echt guter Hinweis, Mamma!«
»Des is doch klar wie Klößbrüh!«
Seine Mutter wusste, wie die Welt funktionierte – zumindest in Niederengbach, und das mit der Versicherung war wirklich eine interessante Überlegung.
Um halb neun schon hatte Johannes angerufen und berichtet, dass man Tom doch in Gewahrsam behalten habe, wegen dringenden Verdachts der Tatbeteiligung an schwerer Brandstiftung und Körperverletzung. Aber man hatte Johannes zugesichert, dass das Labor auf Hochtouren arbeite, um der Brandursache auf den Grund zu gehen, und außerdem in Aussicht gestellt, dass sich alles leichter lösen ließe, würde sich der Rest der jungen Leute aus Toms Truppe freiwillig bei der Polizei melden. Johannes wollte zu den Jungs Kontakt aufnehmen und ihnen die Lage ihres Freundes schildern, damit sie sich vielleicht einen Ruck gaben und nun doch zur Polizei gingen. Die Beamten hatten auch nach dem alten Steinlein gefragt, denn natürlich schlossen sie einen Zusammenhang zwischen beiden Taten nicht aus. Tom und Johannes mussten ihre Alibis für den Zeitpunkt des Mordes angeben, und man war dabei, sie genauestens zu überprüfen.
Das schmiedeeiserne Türchen neben der bescheidenen Kapelle fiel quietschend hinter ihnen ins Schloss, als sie den von Birken umstandenen Friedhof betraten. Seine Mutter wies ihn leise an, die Gießkanne am Wasserhahn beim Eingang zu füllen, und ging weiter ans linke Ende, wo das Angermüllersche Grab lag. Als Georg mit der Gießkanne dort hinkam, häuften sich schon ausgerissenes Unkraut und trockene Blätter auf dem Rasen, der die Gräber hier umgab, und die Mutter war dabei, die Erde zwischen den noch blühenden Astern ordentlich zu harken. Es war wohl ihre Art, den Verstorbenen ihre Wertschätzung zu zeigen, und Georg vermutete, dass sie es auch gern tat und nicht nur wegen des Geredes der Leute. Seine Mutter hatte ihr Werk vollendet, kam ein wenig mühsam wieder auf die Füße und verharrte einen Augenblick stumm und mit geneigtem Kopf vor dem Grab des Vaters. Georg konnte nicht ausmachen, ob dies eine kurze Andacht oder eine Begutachtung der getanen Arbeit sein sollte – wahrscheinlich war es eine Mischung aus beidem. Noch zweimal musste Georg die Gießkanne füllen, bis seine Mutter meinte, jetzt sei genug gegossen. Wie immer gingen sie auch noch zum Grab ihrer Eltern, dessen Pflege der jüngeren Schwester seiner Mutter oblag und wo sie nur das eine oder andere Blättchen absammelte. Das Friedhofstürchen war noch zwei-, dreimal ins Schloss gefallen, und auch an anderen Gräbern machten Besucher Gartenarbeit, oder aber standen einfach nur still da.
Georg stutzte. Eine große Gestalt, von herabhängenden Birkenzweigen halb verdeckt, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ihr türkisblauer Schal, der auch den Kopf bedeckte, leuchtete durch das Grau des Herbstmorgens.
»Bin gleich wieder da«, bedeutete er leise seiner Mutter.
»Hab ich doch richtig gesehen. Guten Morgen, Bea!«
»Morgen, Schorschi! Was machst du denn hier?«, Bea dämpfte ihre Stimme nicht, wie hier auf dem Friedhof üblich. »Ja sag mal, hast du eine aufs Auge gekriegt?«
Sie sah wieder sehr exotisch aus, aber durchaus elegant, in einem langen Rock mit blauem Blumenmuster, dessen Farbe perfekt zu dem schleierartigen Schal passte, den sie wie einen Sari über dem Rock trug. An ihren Ohren baumelten zwei Türkise, in filigranes Silber gefasst.
»Mein Auge? Ach, das war ein Unfall, halb so schlimm.«
Das Ärgerlichste war, dass jeder sein blaues Auge sehen und ihn danach fragen konnte.
»Ich bin mit meiner Mutter hier. Sie kommt jeden Samstag her, und wenn ich schon mal da bin … Ich denke, sie freut sich, wenn ich mitkomm, auch wenn sie’s nicht zeigt. Und du?«
Ein leicht spöttisches Lächeln erschien auf Beas Gesicht und, es klang fast entschuldigend, als sie sagte: »Diese Friedhöfe sind ja eigentlich meine Sache nicht. Ich fand sie schon immer irgendwie spießig.
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