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Nebelschleier

Titel: Nebelschleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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    »Wo ist denn unsere Erna heute?«
    Die Kursteilnehmerinnen hatten sich in Beas geräumiger Küche um den Tisch versammelt. Bea goss allen von dem duftenden Gewürztee in die blaugrünen Keramikbecher.
    »Gestern Abend waren ihre beiden Freundinnen zum Canastaspielen da und es ist wohl wieder hoch hergegangen. Jedenfalls meinte Erna heute Morgen, als ich kurz bei ihr reinschaute, das Frühstück hätte heute Zeit bis Mittag, sie wolle mal richtig ausschlafen.«
    »Ich hoffe, ich bin auch noch so gut drauf, wenn ich mal 80 bin!«, seufzte Renate, eine Lehrerin, die in Beas Alter war, und alle anderen stimmten ein.
    »Aber deswegen kommt ihr doch zu mir! Dafür werd ich schon sorgen! Wenn ihr konsequent täglich den Sonnengruß übt, bleibt ihr topfit und werdet locker 100!«
    Ein allgemeines Stöhnen war die Antwort auf Beas Bemerkung. Der Sonnengruß war eine Yogaübung, die zur Qual werden konnte, wenn Bea sich in den Kopf setzte, jeden noch so kleinen Fehler in Haltung und Bewegung zu korrigieren und alles zigmal wiederholen ließ.
    »Sag mal, Bea, ich wollte dich was fragen.« Renate stellte ihren Becher ab. »Ich hab da heute über einen Hotelbesitzer aus Niederengbach in der Zeitung gelesen, der wahrscheinlich ermordet worden ist. Hat das eigentlich was mit deinem Vater zu tun?«
    Obwohl ihre Gedanken schon den ganzen Morgen darum kreisten, kam die Frage für Bea nun doch überraschend, und so nickte sie nur leichthin, hoffend, weiteren Nachfragen zu entgehen. Aber natürlich wollten alle sofort wissen, was passiert war. Da Bea nicht sogleich antwortete, erzählte Renate, was sie aus der Zeitung wusste. Die Frauen waren über den gewaltsamen Tod des alten Mannes entsetzt, wünschten Bea Beileid und wollten sie trösten.
    Doch Bea wehrte ab. Sie schüttelte den Kopf und zeigte ein schiefes Lächeln.
    »Danke, ihr Lieben! Spart euch euer Beileid. Jeder Mensch bekommt, was er verdient, und ich denke, das trifft auch in diesem Fall zu«, sie sprach ruhig und sachlich, ohne jede Emotion. »Mein Vater war ein Mann ohne Herz und Gewissen, wisst ihr, jemand, der viele Menschen unglücklich gemacht hat. Irgendwann musste es so kommen.«
    Bea bemerkte die erstaunten Blicke in der Runde.
    »Nun schaut doch nicht so betroffen! Es gibt nicht nur gute Menschen auf unserer Erde. Er hat es wirklich nicht besser verdient.«
    »Du bist sonst immer so«, Renate suchte nach dem richtigen Wort. »so positiv. Das bewundere ich so an dir. Ich hätte nie gedacht, dass du auf diese Weise über den Tod eines Menschen reden würdest, über den gewaltsamen Tod eines Menschen! Vor allem, wo es doch um deinen Vater geht.«
    Bea hob die Hände in einer hilflosen Geste und seufzte.
    »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Er selbst hat diese negativen Energien in Gang gesetzt, und ich werde es niemals schaffen, meine Gefühle ihm gegenüber zu verändern – auch ich bin nicht vollkommen.« Sie sah in die Runde. »Ich hoffe, ich habe jetzt keine Illusionen zerstört.«
    Die Frauen blickten sich an, manche schüttelten den Kopf, und Karin, eine gut aussehende Geschäftsfrau Mitte 30, meinte: »Im Gegenteil. Für mich wirst du dadurch einfach normaler. Mir gehen diese absolut selbstlosen Gutmenschen sowieso auf den Keks! Und ich sage euch, gerade die haben bestimmt auch alle ihre Leiche im Keller!«
    Einige lachten und jemand sagte: »Typisch Karin wieder! Aber wahrscheinlich stimmt es sogar.«
    Nur Renate schien sich mit dieser ernüchternden Erkenntnis nicht zufriedengeben zu wollen.
    »Also ich finde aber, man sollte sich zumindest darum bemühen, das Negative in sich selbst zu bekämpfen, meinst du nicht, Bea?«, fragte sie mit strenger Ernsthaftigkeit.
    »Natürlich, du hast ja völlig recht. Denk nicht, dass ich mich gut dabei fühle! Es kann einen ja auch krank machen, so negativ zu sein. Ich habe natürlich versucht, dagegen anzugehen, das kannst du mir glauben! Aber da hat wahrscheinlich jeder seine eigenen Grenzen. Irgendwann werde ich euch die Geschichte vielleicht mal erzählen. Für heute musst du erst einmal hinnehmen, dass ich kein übermenschliches Wesen bin.«
    »Also ich find das gut«, blieb Karin bei ihrer Meinung. »Ein bisschen böse muss man manchmal einfach sein dürfen, das würzt das Leben. Immer nur lieb ist doch langweilig.«

     
    Die Frauen waren gegangen, Bea hatte die Küche aufgeräumt und wollte sich nun ans Zubereiten der Gerichte machen, die sie zum Buffet für das Fest am Abend beisteuern

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