Nebelschleier
nach Deutschland organisiert hatte, und fast alle Teilnehmerinnen waren von Anfang an dabei. Während die Frauen sich umkleideten, erinnerte sich Bea der Zeit ihres Umzuges hierher.
Die fünf Jahre davor hatte sie mit Mahi auf Mauritius verbracht. Es war eine gute Zeit. Sie arbeitete im Ayurvedazentrum eines großen Hotels und konnte mit ihrem Sohn sorgenfrei davon leben, denn das Leben auf Mauritius war billig, zumindest wenn man nach europäischen Maßstäben bezahlt wurde wie sie. Als sich Mahis 18. Geburtstag näherte, ein Ende der Schulzeit absehbar war und er und sie über seine Zukunft nachdachten, beschlossen sie, nach Europa zurückzukehren.
Die Insel im Indischen Ozean war zwar wunderschön, doch bot sie einem vielseitig interessierten jungen Mann wenig berufliche Chancen, außer im Tourismus, in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie, und nichts davon interessierte Mahi wirklich. Auch hatten sie erfahren müssen, dass die viel gerühmte multikulturelle Gesellschaft auf Mauritius nur nach außen funktionierte. In Wirklichkeit lebten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen wie Inder, Chinesen, Kreolen strikt voneinander getrennt, und Bea als Europäerin, Mahi als halber Amerikaner hawaiianischer Abstammung gehörten nirgendwo so richtig dazu.
Als sie dann überlegte, wo in Europa sie sich niederlassen sollten, war es plötzlich gar keine Frage mehr, dass dies in ihrer fränkischen Heimat sein würde. Erst damals wurde Bea klar, wie sehr sie die sanften Berge mit ihren Wäldern, die grünen Täler und ihre Flüsse, die malerischen Dörfer und Städtchen, die Schlösser und Burgen vermisst hatte – und ihre Tante, bei der sie und später auch Paola aufgewachsen waren, bis Rosis Mutter ins Haus kam und der Vater sie wieder zu sich holte. Auch ihre beiden Schwestern oder besser Halbschwestern wollte sie gern wiedersehen und sogar den Alten, von dem Rosi ihr geschrieben hatte, dass er bös vom Schlaganfall gezeichnet war. Was für eine naive Träumerin sie gewesen war! Doch das böse Erwachen war auf dem Fuße gefolgt. Die erste Begegnung mit ihrem Vater nach fast 20 Jahren würde sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen.
Beas Anfang in der alten Heimat war eine harte Prüfung. Ihre wenigen Ersparnisse waren in kurzer Zeit aufgebraucht und sie lebte mit Mahi in zwei winzigen Zimmern unterm Dach bei ihrer Tante in Coburg. Nachdem sich ihre Hoffnung auf eine kleine finanzielle Starthilfe zerschlagen hatte, die ihr Vater ihr gewähren sollte – nicht geschenkt, nur als Kredit –, hatte sie sich geschworen, ihre Schwestern nicht mit ihren Existenzproblemen zu behelligen. Von Paola erwartete sie keine Hilfe. Paola war dem Alten ziemlich ähnlich, was Geld und Großzügigkeit anbetraf, und Rosi hatte immer so viel um die Ohren, die mochte sie gar nicht erst fragen. Also war sie unentwegt unterwegs auf der Suche nach Jobs, und ziemlich schnell wurde ihr klar, dass sie mit ihren Fähigkeiten nur selbstständig eine Chance hatte. Und wie es in ihrem Leben schon so oft gewesen war, fügte sich plötzlich alles von selbst: Eine alte Dame aus der Bekanntschaft ihrer Tante suchte eine Haushälterin oder besser, eine Mischung aus Haushälterin und Gesellschaftsdame. Seit dem Tod ihres Gatten lebte Frau Bätz allein in einer geräumigen Villa in der Festungsstraße direkt am Hofgarten. Eigentlich war ihr das Haus viel zu groß, aber die rüstige 80-Jährige hing daran und wollte erst ausziehen, »wenn ich richtig alt bin«, wie sie immer sagte.
Als Erna Bätz hörte, was Bea vorhatte – Yogakurse, Meditation, Körperarbeit –, war sie begeistert, engagierte sie sofort, ließ die helle, geräumige Wohnung im ersten Stock herrichten, in der auch genug Raum für die Kurse war, die Bea plante, und bot ihr und Mahi mietfreies Wohnen gegen Betreuung und Teilnahme an ihren Kursen. In ihrer Verzweiflung nahm Bea an, durchaus etwas skeptisch, was ihre Verpflichtungen betraf, doch die alte Frau benötigte weit weniger Hilfe als gedacht, es gab eine Putzfrau und einen Gärtner, und so beschränkten sich Beas Dienste auf Einkaufen und Kochen und ab und zu Arztbesuche. Und es war auch nicht so, dass Bea ständig bei der alten Dame sitzen und sie unterhalten musste, nein, Frau Bätz kam manchmal zu ihr, hin und wieder nahm sie an ihren Kursen teil, kannte inzwischen alle Teilnehmerinnen und war äußerst beliebt. Oft aber blieb sie auch für sich und nie hatte Bea bisher das Gefühl einer lästigen Verpflichtung zum
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