Nebelschleier
schlug er mit einem großen Holzhammer auf den Zaunpfahl, um ihn ins Erdreich zu rammen. Angermüller beobachtete ihn fasziniert. Diese Körperkraft hätte er bei Johannes gar nicht vermutet.
»Jetzt, wo wir fast fertig sind, da kommst du! Gut abgepasst, Schorsch!«
»Hallo Johannes! Ich wollte dich doch nicht bei der Arbeit stören.«
»Und, du Urlauber? Was treibst du denn so den ganzen Tag?«
»Ich war in der Stadt, hab am Markt Bratwürscht gegessen, Latte macchiato in der Eisdiele getrunken …«
»Sauber! Du hast es gut!«
»Ich war auch bei den Kollegen in der Neustadter Straße.«
»Gibt’s was Neues?«
Angermüller nickte und warf einen Seitenblick auf Tobias.
»Mmh, so einiges.«
»Tobias, du kannst dann Feierabend machen. Den Rest schaff ich allein oder der starke Schorsch da hilft mir! Nimm bitte den alten Pfahl mit und stell ihn in die Scheune, hinten beim Hackklotz. Die Werkzeuge bringen wir dann mit.«
Während Johannes den Weidedraht befestigte, erzählte Angermüller von Toms Freilassung und dass wohl der alte Motschmann selbst der Brandstifter gewesen war. Dass Tom frei war, wusste Johannes schon. Er hatte am Vormittag eine SMS geschickt.
»Der alte Motschmann, tatsächlich! Das ist ja ein Hammer.« Johannes war fertig mit dem Zaun und die beiden Freunde setzten sich ins Gras. Johannes schüttelte den Kopf. »Dann geschieht’s ihm ja recht, dass er jetzt im Krankenhaus liegt! Und der hat ja noch Glück gehabt, er hätt auch dabei draufgehen können! Das wünsch ich ihm natürlich nicht, aber das war wirklich verantwortungslos, was der da gemacht hat. Stell dir vor, wenn Wind gekommen wäre! Der hat die ganze Nachbarschaft in Gefahr gebracht!«
»Das ist wahr«, bestätigte Angermüller und überlegte, wie er Johannes nach seinem Alibi fragen sollte. Er entschied sich für den direkten Weg. »Was hast du eigentlich der Polizei erzählt, wo du gestern Morgen gewesen bist?«
Johannes wusste natürlich sofort, worauf er hinauswollte.
»Ja, Herr Kriminalkommissar, das ist ein Problem. Außer meinem Pferd und vielleicht ein Paar Vögeln und Rehen hat mich nämlich niemand gesehen!«
»Du warst reiten?«
»Ja«, nickte Johannes. »Das ist mein ganz persönlicher Luxus. Wenn an solchen Tagen wie jetzt morgens noch die Nebelschleier über den Wiesen hängen, alles nass ist vom Tau, die Leut noch schlafen und höchstens mal ein Reh oder eine Familie Fasane meinen Weg kreuzt, dann einfach so über die Felder galoppieren – du Schorsch, es gibt nix Schöneres!«
»Das glaub ich dir gern. Für ein wasserdichtes Alibi wär’s allerdings besser, du hättest Zuschauer gehabt.«
»Man kann nicht alles haben! Ich hab mir nix vorzuwerfen, Schorsch, und man kann sich ja nicht extra für die Polizei bei allem, was man tut, einen Zeugen halten – oder ist das jetzt Vorschrift seit dem 11. September?«, Johannes grinste. So richtig konnte sich Angermüller über die Bemerkung des Freundes nicht amüsieren.
»Weiß die Polizei eigentlich, dass du neulich das erste und einzige Mal in all den Jahren mal wieder bei deinem Schwiegervater gewesen bist?«
Johannes pfiff anerkennend durch die Zähne.
»Wow! Gute Arbeit, Herr Kommissar! Ich hab’s der Polizei nicht erzählt«, er sah Angermüller offen ins Gesicht. »Ich war sowieso der Meinung, das hätte keiner mitgekriegt, aber, na ja – ich kann’s mir ja fast denken, woher du das weißt. Also: Ich war so blöd zu glauben, ich könnte mit dem Alten reden, ihm klarmachen, was es für das Dorf und die Menschen bedeuten würde, wenn er sein Land verkauft und die Gentechnik hier einzieht. Ich war im Grunde genauso naiv wie meine Frau. Aber es war natürlich völlig sinnlos. Bei meinem bloßen Anblick hat er sich so aufgeregt, so getobt da in seinem Rollstuhl mit diesem lädierten Körper, dass ich dachte, der verreckt mir auf der Stelle. Und das war es mir nicht wert. Nicht wegen ihm. Wegen mir! Ich hätte nämlich keine Lust, dafür ins Gefängnis zu gehen«, Johannes holte tief Luft. »Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ich hab ihn auch gestern nicht in die Grotte gekippt. Klingt das glaubhaft, Kommissar Angermüller?«
Angermüller nickte. Er konnte nicht anders, als seinem Freund glauben. Johannes war risikofreudig bis waghalsig, irgendwo ein Abenteurer, aber ein absolut aufrichtiger Mensch. Außerdem, was hätte er davon gehabt, den alten Steinlein zu beseitigen? Steinlein war nicht der Einzige, der bereit war, seinen Grund und Boden an den
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