Nebelsturm
es mir geht?«, wiederholte Joakim. »Mir geht es ausgezeichnet.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Sie haben recht. In unserer Familie wurde nie darüber gesprochen,wie es einem geht. Und auch über Ethels Probleme haben wir nie offen geredet. Man erzählt den Leuten nicht einfach so, dass man eine drogensüchtige Schwester hat. Katrine war die Erste … ich habe sie da irgendwie mit reingezogen, muss ich zugeben.«
Gerlof sah nachdenklich aus.
»Was wollte Ethel eigentlich? Warum stand sie immer wieder vor Ihrem Haus? Wollte sie wirklich nur Geld für Drogen?«
Joakim zog sich die Jacke über und blieb Gerlof zunächst eine Antwort schuldig.
»Nicht nur«, sagte er dann zögernd. »Sie wollte ihre Tochter zurück.«
»Ihre Tochter?«
Joakim fiel es sichtlich schwer, auch dieses heikle Thema zu offenbaren.
»Einen Vater gab es nicht mehr, er ist an einer Überdosis gestorben. Katrine und ich waren Livias Pateneltern, und das Sozialamt hat uns vor vier Jahren das Sorgerecht übertragen. Letztes Jahr haben wir sie adoptiert … Livia ist jetzt unser Kind.«
»Aber sie ist eigentlich Ethels Kind?«, fragte Gerlof.
»Nein. Nicht mehr.«
23
T ilda hatte ihren Bericht über den schwarzen Lieferwagen nach Borgholm geschickt und ihn darin als ein »interessantes« Fahrzeug bezeichnet, das man im Auge behalten sollte. Aber Öland war groß und die Anzahl der patrouillierenden Streifenwagen sehr gering.
Und Gerlofs Theorie über den Mörder von Åludden mit dem Bootshaken? Dazu schrieb sie keinen Bericht. Ohne einen Beweis, dass tatsächlich ein Boot an der Landzunge festgemacht hatte, konnte sie keine Ermittlungen in einem Mordfall führen – sie benötigte mehr Indizien als ein paar Löcher in einer Jacke.
»Ich habe Joakim Westin die Kleidungsstücke seiner Frau wieder übergeben«, erzählte ihr Gerlof, als sie das nächste Mal mit ihm telefonierte.
»Hast du ihm auch deine Mordtheorien unterbreitet?«, fragte Tilda.
»Nein, das war nicht der geeignete Zeitpunkt. Er ist nicht stabil genug und würde vermutlich glauben, dass ein Geist seine Frau ins Wasser gezerrt hat.«
»Ein Geist?«
»Westins Schwester … sie war drogenabhängig.«
Dann erzählte Gerlof ihr die ganze Geschichte über Joakims große Schwester Ethel, die heroinabhängig und ein Störenfried gewesen war.
»Darum sind sie also aus Stockholm weggezogen«, fasste Tilda zusammen. »Ein Todesfall hat sie von dort vertrieben.«
»Das war einer der Gründe. Öland kann sie doch auch gereizt haben.«
»Ich finde, er sollte mit einem Psychologen sprechen. Oder meinetwegen auch mit einem Pfarrer.«
»Ich tauge also nicht als Beichtvater, oder was soll das bedeuten?«, stichelte Gerlof.
Jeden Abend, wenn Tilda an einem Briefkasten vorbeikam, war sie kurz davor, den Brief an Martins Frau abzuschicken. Aber er lag nach wie vor in ihrer Jackentasche. Es fühlte sich an, als würde sie mit einer Axt in der Hand herumlaufen – der Brief verlieh ihr Macht über einen Menschen, den sie noch nicht einmal kannte.
Sie spürte auch, dass sie Macht über Martin hatte. Er rief sie in regelmäßigen Abständen an und wollte mit ihr plaudern. Tilda wusste nicht, was sie antworten sollte, wenn er noch einmal fragen würde, ob er sie besuchen kommen dürfte.
Zwei Wochen waren vergangen ohne eine Einbruchsmeldung auf Nordöland. Eines Morgens jedoch klingelte das Telefon im Revier. Das Gespräch kam aus Stenvik an der westlichen Küste der Insel. Der Anrufer sprach leise, aber in breitem Öländisch und stellte sich als John Hagman vor. Sie erinnerte sich an seinen Namen – Hagman war ein Freund von Gerlof.
»Sie suchen nach Einbrechern, habe ich gehört«, sagte er.
»Ja, das tun wir. Ich wollte Sie auch anrufen, um …«
»Ja, Gerlof hat es mir erzählt.«
»Haben Sie die Einbrecher gesehen?«
»Nein.«
Dann wurde es still am anderen Ende der Leitung. Tilda wartete eine Weile und fragte dann:
»Haben Sie vielleicht Spuren von ihnen gefunden?«
»Ja. Sie sind hier in Stenvik gewesen.«
»Vor Kurzem?«
»Das weiß ich nicht genau … irgendwann im Herbst wohl. Sie scheinen in mehrere Häuser eingebrochen zu sein.«
»Ich komme und sehe mir das mal an. Wo finde ich Sie denn?«
»Ich bin der einzige Bewohner von Stenvik.«
Tilda stieg aus dem Polizeiwagen aus und ging den Kiesweg zwischen den winterfest gemachten Sommerhäusern entlang. Der Sund war nur wenige hundert Meter entfernt. Es blies ein eisiger Wind. Sie musste an
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