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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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»Ubba … ubba«.
    Er wurde langsamer und duckte sich, kämpfte sich aber weiter durch den Schnee in Tildas Richtung.
    »Bleiben Sie stehen, und lassen Sie die Waffe fallen!« Tildas Stimme wurde schrill und war viel zu schwach, sie hörte selbst, wie erbärmlich sie klang.
    »Ich schieße!«, warnte sie.
    Danach schoss sie tatsächlich, einen Warnschuss in die Luft, in den Nachthimmel. Der Knall war fast genauso schwach wie ihre Stimme.
    Der Kerl blieb stehen, ließ das Gewehr aber nicht fallen. Er kniete sich zwischen zwei Schneewehen, weniger als zehn Meter von ihr entfernt. Erneut setzte er das Gewehr zum Schuss an. Tilda feuerte zweimal hintereinander auf ihn ab.
    Danach duckte sie sich hinter die Schneewehe. Fast gleichzeitig ging das Licht aus. Die Lampen im Haus und die Laterne im Innenhof erloschen. Es war stockdunkel.
    Der Nebelsturm hatte auf Åludden einen Stromausfall verursacht.

38
    Und Ethel folgte ihm durch die dunklen Straßen, an den Bäumen vorbei hinunter zur Strandpromenade. Ans Wasser, in dem sich die Lichter der Häuser und Straßen Stockholms in seiner schwarzen Oberfläche spiegelten.
    Gehorsam ließ sie sich im Schatten eines Bootshauses nieder und bekam ihre versprochene Belohnung. Danach wusste sie, was zu tun war: das goldbraune Pulver in einem Löffel erhitzen, die Spritze aufziehen und sich den Schuss setzen.
    Frieden.
    Der Mörder wartete geduldig, bis Ethels Kopf auf ihre Brust sank und sie weggedöst war … dann versetzte er dem willenlosen Körper einen harten Stoß. Hinein ins eiskalte Winterwasser.
    Joakim saß regungslos auf seiner Kirchenbank. Im Andachtsraum fehlte eine Lichtquelle, aber dennoch war es nicht vollkommen dunkel. Er konnte die Holzwände, das Fenster und sogar die Zeichnung vom leeren Grab Jesu erkennen. Das Bild umgab ein schwacher Schein, wie von einem weit entfernten Mond.
    Der Sturm tobte ohne Unterlass über das Scheunendach hinweg.
    Er war nicht allein im Raum.
    Seine Frau Katrine saß neben ihm. Aus den Augenwinkeln konnte er ihr blasses Gesicht sehen.
    Die Bänke hinter ihm hatten sich allmählich mit Besucherngefüllt. Joakim hörte ein Knacken und Knarren, als würden sie ungeduldig auf den Beginn des Abendmahls warten.
    Einer nach dem anderen erhob sich.
    Als Joakim das bemerkte, stand auch er auf. Er hatte das unangenehme Gefühl, in der falschen Nacht am falschen Ort zu sein. In absehbarer Zeit würden sie ihn entdecken – oder er sich verraten.
    »Komm«, flüsterte er. »Vertrau mir.«
    Er zog an Katrines Hand, wollte sie zum Aufstehen bewegen. Schließlich folgte sie seiner Aufforderung.
    Hinter ihnen waren scharrende Bewegungen zu hören. Die Gestalten in den Bänken stellten sich im Gang auf.
    Viele waren es, die sich da versammelt hatten. Immer mehr Schatten schienen den Raum zu füllen.
    Joakim konnte sich nicht an ihnen vorbeidrängen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als vor seiner Bank stehen zu bleiben. Er verharrte unbeweglich, Katrines Hand in seiner, und wartete.
    Die Luft wurde zunehmend kälter, Joakim zitterte. Er hörte das Rascheln von alten Stoffen und das Knacken der Bodenplanken, wenn die Besucher der Kapelle sich im Raum bewegten.
    Sie alle sehnten sich nach Wärme, so viel Wärme, die er ihnen aber nicht geben konnte. Sie wollten das Abendmahl empfangen. Joakim fror entsetzlich. Sie umschlossen ihn, und ihre ruckhaften Bewegungen waren wie ein langsamer Tanz in dem engen Raum. Er wurde mitgezogen.
    »Katrine!«, flüsterte er.
    Aber sie folgte ihm nicht. Ihre Hand glitt aus seiner, und sie wurden voneinander getrennt.
    »Katrine?«
    Sie war weg. Joakim sah sich suchend um, versuchte in dem Gedränge voranzukommen, um sie wiederzufinden. Niemand half ihm, sie versperrten ihm den Weg.
    Dann vernahm er durch die Ritzen der Scheunenwand noch andere Geräusche als nur das Heulen des Windes: Er hörte jemanden rufen und dann einen dumpfen Knall, dem mehrerefolgten. Es klang wie Schüsse aus einem Gewehr oder einer Pistole – wie ein Schusswechsel vor der Scheune.
    Joakim erstarrte und lauschte angestrengt. Die Geräusche im Andachtsraum waren verstummt, keine Stimmen mehr, keine Bewegungen.
    Plötzlich erlosch auch das bleiche Licht der Glühlampe auf dem Dachboden, das seine schwachen Lichtstrahlen durch die Holzbretter geschickt hatte.
    Ein Stromausfall.
    Joakim verharrte einen Augenblick in der Dunkelheit. Er fühlte, dass er jetzt wieder vollkommen allein war, als hätten sich alle Besucher des Andachtsraumes

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