Nebelsturm
wurde.
Sie war von einer Axt getroffen worden. Wäre sie doch bloß ohnmächtig geworden, aber ihr Bewusstsein war klar und registrierte alles. Den Schmerz, den Sturz und die Pistole, die aus ihrer Hand geschleudert wurde.
Als sie auf dem Rücken aufschlug, fing die Schneedecke sie auf wie ein weiches Bett.
Sie blieb liegen. Das Nasenbein war gebrochen, warmes Blut lief in ihren Mund, und sie war völlig erschöpft nach der kräftezehrenden Wanderung durch den Sturm.
Ich habe heute meinen Teil getan, dachte sie. Jetzt ist es verdammt noch mal genug.
»Tilda!«
Sie hörte Martins Stimme, er beugte sich über sie. Hinter ihm sah sie einen Mann, der auf der obersten Stufe der Verandatreppe stand. Er hatte ein großes Messer in der Hand und rief etwas, aber sie konnte kein einziges Wort verstehen.
Für einen Moment versank alles in seliger Stille. Tilda gab der warmen Schläfrigkeit nach, dann überkam sie die Übelkeit. Sie hustete und übergab sich.
Tilda hob den Kopf. Sie sah Martin auf den Mann zugehen und hörte, wie er ihn nach seinem Namen fragte.
Auf der Treppe stand Henrik Jansson, der Einbrecher, hinter dem sie her war.
»Henrik?«
Tilda rief mehrmals mit heiserer Stimme seinen Namen und versuchte sich gleichzeitig zu erinnern, was er alles verbrochen hatte. Martin forderte ihn auf, das Messer fallen zu lassen.
Sie hörte nicht, was er antwortete – aber sie hörte den Schuss.
Der Schuss kam aus der Scheune auf der anderen Seite des Innenhofs und klang wie ein dumpfer Knall ohne Echo. Die Kugel traf die Veranda; eine Fensterscheibe direkt neben Henrik wurde durchschlagen.
Er drehte den Kopf und schaute verwundert das Loch an.
Martin ging auf die Treppe zu. Er bewegte sich beherrscht und sprach mit fester Stimme mit dem Verbrecher, wie ein erfahrener Polizist.
Sie hatten offensichtlich beide nicht begriffen, dass geschossen worden war.
Als sie gerade den Mund öffnete, um sie zu warnen, fielen weitere Schüsse.
Sie sah Martin auf der Treppe zusammenzucken. Sein Oberkörper verdrehte sich, seine Beine knickten ein. Er stürzte und versank im Schnee, nur etwa einen Meter von Tilda entfernt.
»Martin!«
Er blieb mit dem Rücken zu ihr liegen, sie kroch zu ihm. Sie hörte ein schwaches Stöhnen.
»Martin?«
Atmung, Blutung, Schock, dachte sie. Diese Erste-Hilfe-Regel war bei Messerstecherei und Schusswunden anzuwenden. Das hatte sie gelernt.
Die Atmung? Es war schwierig, überhaupt etwas zu sehen, aber Martin schien kaum zu atmen.
Sie drehte ihn um, öffnete seine Jacke und fand die Einschussstelle links von der Wirbelsäule. Die Wunde sah tief aus und blutete stark. Hatte die Kugel womöglich eine Hauptschlagader getroffen?
Er durfte auf keinen Fall draußen liegen bleiben, aber Tilda war nicht in der Lage, ihn ins Haus zu transportieren.
Aus ihrer rechten Hosentasche holte sie ein Verbandspäckchen hervor.
»Martin?«, rief sie und presste gleichzeitig den Druckverband, so fest sie nur konnte, auf die Schusswunde.
Keine Antwort. Seine Augen waren weit aufgerissen, aber er blinzelte nicht – sein Kreislauf war zusammengebrochen.
Tilda konnte keinen Puls fühlen.
Sie drehte ihn auf den Rücken und versuchte ihn zu reanimieren.
Es hatte keinen Sinn. Er atmete nicht mehr, sie schüttelte ihn, aber sein Körper war vollkommen leblos.
»Martin …«
Tilda brach schluchzend neben ihm zusammen und gab auf.
Alles war falsch gelaufen. Martin hätte gar nicht hier sein dürfen, er hätte sie nicht zum Hof begleiten sollen.
Auf einmal hörte sie zwei weitere Schüsse, auch diese waren vor der Scheune abgefeuert worden. Sie duckte sich.
Die Pistole! Sie hatte sie verloren, als sie in die Schneewehe gestürzt war.
Die Sig Sauer war schwarz wie Stahl – sie müsste sie in diesen weißen Schneemassen wiederfinden können. Systematisch tastete sie den Boden ab. Dabei sah sie vorsichtig über die Schneewehe in Richtung Scheune.
Eine Gestalt kam auf sie zu. Sie hatte eine schwarze Strumpfmaske über dem Kopf und hielt ein Gewehr in den Händen.
Der Mann kämpfte sich gerade durch eine Schneewehe, als er bemerkte, dass Tilda ihn sehen konnte. Er rief ihr etwas zu.
Sie antwortete nicht und suchte weiter nach der Pistole – und fühlte plötzlich einen harten Gegenstand.
Sie klopfte den Schnee aus dem Lauf der Waffe, entsicherte die Pistole und zielte Richtung Scheune.
»Polizei!«, rief sie.
Der maskierte Mann antwortete etwas, aber der Sturm verzerrte die Worte.
Es klang wie
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