Nebelsturm
Handgelenke, zog sie nach hinten und fesselte ihn. Jetzt konnte sie ihn nach weiteren Waffen abtasten. Er hatte aber nur ein Klappmesser in der Hosentasche. Und Tabletten, haufenweise Tabletten.
»Wie heißen Sie?«
Er schien nachdenken zu müssen.
»Freddy«, antwortete er dann.
»Ihr richtiger Name … wie lautet der?«
Er zögerte.
»Sven.«
Tilda war nicht wirklich davon überzeugt, dass er die Wahrheit sagte.
»Okay, Sven … Sie bleiben jetzt schön hier liegen.«
Sie hörte das Knistern der Flammen, die auf dem Steinboden keine Nahrung fanden und sich deshalb die Holztreppe hoch zum Heuboden fraßen.
Tilda konnte keine Lumpen oder gar einen Feuerlöscher entdecken, um sie zu ersticken. Auch keinen Wassereimer.
Sie zog ihre Uniformjacke aus und begann, auf die Flammen einzuschlagen. Aber sie wichen nur aus und kletterten weiter. Das Feuer schien auf den Dachboden zu wollen, bereits die Hälfte der Treppe stand in Flammen.
Würde sie in der Lage sein, die Treppe von der Kante des Heubodens zu lösen?
Da bemerkte sie einen Schatten, der sich in ihrem Augenwinkel näherte. Blitzschnell drehte sie sich um.
Es war ein Mann in Jeans und Wollpullover, der aus dem Dunkel der Scheune auf die Treppe zugerannt kam. Abrupt hielt er an, sein Blick wanderte von der brennenden Treppe zu Freddy und blieb dann an Tilda hängen.
Sie hätte ihn fast nicht wiedererkannt, aber es war Joakim Westin.
»Ich kann das Feuer nicht löschen!«, rief sie. »Ich habe es mit der Jacke versucht, aber …«
Westin nickte. Er wirkte äußerst gelassen, so als gäbe es weitaus schlimmere Dinge im Leben.
»Schnee«, rief er. »Wir müssen das Feuer damit ersticken.«
»Okay.«
Wo war Westin eigentlich hergekommen? Er sah blass und müde aus, schien sich aber über die ungebetenen Gäste auf seinem Hof nicht sonderlich zu wundern. Auch die Flammen beunruhigten ihn offensichtlich nicht sehr.
»Ich hole eine Schaufel.« Westin drehte um und lief zum Scheunentor.
»Schaffen Sie es auch ohne mich?«, rief ihm Tilda hinterher.
Joakim nickte erneut und rannte weiter.
Tilda überließ die brennende Treppe ihrem Schicksal, sie musste zurück in die Dunkelheit.
»Bleiben Sie genau da liegen«, befahl sie Freddy. »Ich werde jetzt Ihren Bruder suchen gehen.«
An der Tür zum Lagerraum blieb sie einen Augenblick stehen und wartete darauf, dass Joakim Westin wieder auftauchte. Er kehrte nur etwa eine halbe Minute später mit einer großen Schaufel voller Schnee zurück. Sie nickten sich kurz zu, und Tilda setzte ihren Weg in den Vorraum mit dem Traktor fort. Hinter sich hörte sie, wie das Feuer zischte, als Westin den Schnee daraufwarf.
Tilda hatte die Pistole wieder im Anschlag.
Erneut war sie umschlossen von Schatten und Kälte. Sie meinte Bewegungen zu hören, konnte aber nichts sehen.
Sie hielt sich dicht an der nördlichen Wand, deren kleine Fenster mittlerweile bis oben hin zugeschneit waren.
Dann tauchte eine weitere Tür vor ihr auf, Tilda ging hindurch. Der Raum dahinter war groß und noch kälter. Tilda blieb stehen. Erneut hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein. Sie senkte die Pistole, hielt die Luft an und lauschte.
Da löste sich ein Schuss.
Sie duckte sich, wusste nicht, ob sie getroffen worden war oder nicht. Ihre Ohren klingelten von der Explosion, sie musste husten und wartete.
Nichts geschah.
Eine Weile starrte sie in die Dunkelheit, bis sie etwa vier oder fünf Meter von sich entfernt eine weitere Tür bemerkte. Das war eine Außentür – aber davor stand jemand. Ein Mann.
Es war Freddys Bruder Tommy. Es konnte niemand anderes sein. Er hatte sich die Strumpfmaske in die Stirn geschoben, und sein bleiches Gesicht ähnelte Freddy.
Außerdem hatte Tommy ein Gewehr geschultert.
Tilda streckte die Hand mit der Pistole aus. Sie zielte auf ihn.
»Lassen Sie das Gewehr fallen!«
Aber Tommy blieb regungslos wie ein Schlafwandler stehen, als würde ihn jemand festhalten. Sein Blick war zu Boden gerichtet, seine rechte Hand lag auf dem Türgriff. Er schien auf dem Weg nach draußen zu sein, nur seine Beine wirkten wie angekettet.
»Tommy?«
Er antwortete nicht.
Hatte er eine Drogenpsychose? Langsam ging sie auf Martins Mörderzu, ängstlich, aberentschlossen. Dann streckte sie schweigend den linken Arm aus und nahm ihm das Gewehr von der Schulter und ließ es hinter sich zu Boden gleiten.
»Tommy?«, wiederholte sie. »Können Sie sich bewegen?«
Als sie seinen Arm berührte, kehrte plötzlich
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