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Nebelsturm

Nebelsturm

Titel: Nebelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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war.
    Sie war in einem Kinderzimmer eingeschlafen.
    Tilda rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Es war zehn nach elf. Sie hatte über zwei Stunden geschlafen und eine merkwürdige Geschichte über ihren Vater geträumt. Er war bei ihr in diesem Kinderzimmer gewesen.
    Sie hörte Geräusche und hob den Kopf.
    Es war nicht mehr still im Haus. Sie hörte Stimmen, die sich hoben und senkten, wie eine leise Unterhaltung.
    Es klang wie ein gedämpftes Gespräch einer Gruppe von Leuten, die sich unterhielten, leise und eindringlich, draußen auf dem Hof.
    Tilda stand behutsam auf und fühlte sich, als würde sie jemanden heimlich belauschen.
    Sie hielt den Atem an, um besser hören zu können, und verließ auf Zehenspitzen das Kinderzimmer.
    Vielleicht war das auch nur der Wind, der zwischen den Gebäuden hindurchpfiff.
    Sie betrat die verglaste Veranda – und als sie gerade meinte, die Stimmen ganz deutlich hören zu können, verstummten sie.
    Wieder herrschte vollkommene Stille auf dem Hof.
    In der nächsten Sekunde erhellte ein grelles Licht den Innenhof – die Scheinwerfer eines Autos.
    Sie hörte ein dumpfes Motorengeräusch und wusste, dass Joakim Westin auf Åludden angekommen war.
    Tilda warf einen letzten, prüfenden Blick hinter sich, ob auch alles so aussah, wie es sollte. Sie musste an die Stimmen und Geräusche denken und hatte das unbestimmte Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben. Obwohl es ja selbstverständlich war, dass sie im Warmen auf den Besitzer von Åludden wartete. Sie zog sich die Stiefel an und ging hinaus.
    Ein Wagen mit Anhänger bog in die Einfahrt und hielt auf dem Vorplatz an.
    Der Fahrer machte den Motor aus und stieg aus. Joakim Westin. Ein großer, schlanker Mann, etwa fünfunddreißig Jahre alt, in Jeans und Winterjacke. Tilda konnte sein Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen, hatte aber den Eindruck, mit düsteren Blicken gemustert zu werden. Seine Bewegungen wirkten angespannt und fahrig.
    Er schlug die Fahrertür zu und kam ihr entgegen.
    »Hallo«, sagte er.
    Er nickte ihr zu, ohne die Hand zur Begrüßung auszustrecken.
    »Hallo.« Tilda nickte zurück. »Mein Name ist Tilda Davidsson von der Schutzpolizei … wir haben vorhin miteinander telefoniert.«
    Sie wäre ihm lieber in Uniform begegnet und nicht in Zivil. Das hätte sich an diesem finsteren Abend angemessener angefühlt.
    »Sind nur Sie hier?«, fragte Westin.
    »Ja, meine Kollegen sind bereits gefahren, der Notarztwagen auch.«
    Sie schwiegen. Westin stand unschlüssig und regungslos vor ihr, und Tilda wollte partout keine gute Frage einfallen, die sie hätte stellen können.
    »Livia«, flüsterte Westin nach einer Weile. Sein Blick ruhte auf den hell erleuchteten Fenstern des Hofes. »Ist sie … nicht mehr hier?«
    »Sie ist in guten Händen«, erklärte Tilda. »Sie wurde nach Kalmar gebracht.«
    »Wo ist es passiert?«, fragte Westin und sah ihr in die Augen. »Wo ist sie …?«
    »Am Strand … bei den Leuchttürmen«
    »Ist sie zu den Leuchttürmen rausgelaufen?«
    »Nein, oder … wir wissen es nicht genau.«
    Westins Blick wanderte unruhig zwischen Tilda und dem Haus hin und her.
    »Und Katrine und Gabriel? Sind sie noch bei den Nachbarn?«
    Tilda nickte.
    »Sie schlafen, ich habe vorhin dort angerufen.«
    »Ist das der Hof dort drüben?«, fragte Westin und zeigte auf einen Lichtschein im Südwesten. »Der Bauernhof?«
    »Ja.«
    »Ich gehe hin.«
    »Ich kann Sie fahren«, schlug Tilda vor. »Wir können …«
    »Nein danke. Ich muss laufen.«
    Er ging an ihr vorbei, kletterte über die kleine Steinmauer und lief mit großen Schritten in die Dunkelheit hinein.
    Trauernde dürfen niemals allein gelassen werden , hatte Tilda als Polizeischülerin gelernt, deshalb folgte sie ihm, ohne zu zögern. Es wäre mehr als unpassend, in dieser Situation die Stimmung mit Fragen über die Fahrt aus Stockholm aufheitern zu wollen, daher lief sie schweigend hinter ihm über die Wiesen.
    Sie hätten eine Taschenlampe mitnehmen sollen, es war stockdunkel. Aber Westin schien den Weg gut zu kennen.
    Tilda war der Meinung, er hätte ihre Anwesenheit bereits vergessen, als er sich plötzlich umdrehte und leise warnte:
    »Passen Sie auf, hier liegt Stacheldraht.«
    Er führte sie um den Zaun herum und näher an die Landstraße heran. Tilda hörte in der Ferne das Rauschen des Meeres. Es klang wie ein Flüstern und erinnerte sie an die Geräusche auf dem Hof – die leisen Stimmen, die durch die Wände gedrungen

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