Nebelsturm
Nähe von Altorp in einem kleinen roten Haus mit freiem Blick über die öländische Kalksteppe, die Große Alvar. Auf ihrem Grundstück gab es nicht besonders viele Bäume, und die Landstraße führte direkt am Haus vorbei.
Hier stand die Zeit still. Wie herrlich, so zu wohnen, dachte Tilda verträumt, in der Einöde, fernab aller Männer.
Sie schulterte ihren Rucksack und klingelte. Eine stämmige Frau öffnete die Tür.
»Guten Tag, ich heiße Tilda …«
»Ja, ja, schon gut«, unterbrach sie die Frau. »Gerlof hat schon angekündigt, dass Sie vorbeischauen würden. Kommen Sie rein, kommen Sie.«
Zwei schwarze Katzen huschten durch die Küche und versteckten sich, aber Edla Gustafsson schien sich aufrichtig über Besuch eines Gerlof’ schen Familienmitglieds zu freuen. Edla war fröhlich und sehr energisch, hörte allerdings gar nicht richtig zu, als Tilda den Grund ihres Besuches erläuterte, sondern setzte Kaffee auf und holte Gebäck aus dem Küchenschrank. Plätzchen mit Marmelade, mit Hagelzucker, mit Schokolade – insgesamt lagen mindestens zehn verschiedene Kekssorten in der Silberschale,die sie auf den Tisch in der guten Stube stellte. Tilda starrte auf das Angebot und setzte sich.
»Ich habe in meinem Leben nicht so viele verschiedene Plätzchen auf einmal gesehen«, stotterte sie fasziniert.
»Ach ja?« Edla wirkte überrascht. »Sind Sie noch nie in einer Bäckerei gewesen?«
»Doch, schon, aber …«
Tildas Blick wanderte zu einer Schwarz-Weiß-Fotografie an der Wand, ein Hochzeitsbild, und sie musste schon wieder an Martin und seine Frau denken. Sie hatte vor, den Brief noch am selben Abend abzuschicken. Dann würde ihn Karin Ahlquist Ende der Woche bekommen und das ganze Wochenende Zeit haben, um Martin vor die Tür zu setzen.
Sie räusperte sich.
»Ich hätte da ein paar Fragen an Sie, Edla. Ich weiß nicht, ob Sie es in der Zeitung gelesen haben, aber in Hagelby hat es einen Einbruch mit schwerer Körperverletzung gegeben, und die Polizei benötigt Ihre Mithilfe bei den Ermittlungen.«
»Bei mir ist auch eingebrochen worden«, erwiderte Edla. »Die sind in die Garage eingestiegen und haben einen Benzinkanister gestohlen.«
»Ach, wirklich?«, staunte Tilda und holte ihren Notizblock hervor. »Wann ist das denn gewesen?«
»Im Herbst dreiundsiebzig.«
»Ach so …«
»Ich erinnere mich genau, denn mein Mann lebte noch, und wir hatten auch noch das Auto.«
»Okay, bei dieser Ermittlung geht es allerdings um Einbrüche neueren Datums, der vergangenen Monate.« Tilda hielt den Block hoch. »Ich hätte da ein paar Fragen zu unbekannten PKWs auf der Landstraße … Gerlof hat mir erzählt, dass Sie den Verkehr sehr genau beobachten.«
»Ja, am Fenster. Das habe ich schon immer gemacht, ich kann ja hören, wenn sie näher kommen. Aber mittlerweile sind es so viele.«
»Im Winter fährt hier doch selten jemand vorbei, oder?«
»Das stimmt, jetzt ist es auch viel leichter als in der Haupt saison mit den ganzen Touristen. Aber ich schreibe keine Nummernschilder mehr auf, das schaffe ich nicht mehr. Die fahren viel zu schnell. Und bei Automarken kenne ich mich nicht so gut aus.«
»Aber haben Sie in den letzten Tagen unbekannte Autos vorbeifahren sehen? Spät am Abend … zum Beispiel letzten Freitag?«
Edla legte die Stirn in Falten und dachte nach.
»Große Autos?«
»Vermutlich. Sie haben mitunter auch große Gegenstände gestohlen, dafür benötigten sie bestimmt einen Wagen mit ausreichend Stauraum.«
»Lastwagen fahren hier häufig vorbei. Lieferwagen auch und Traktoren.«
»Ich glaube nicht, dass sie einen Lastwagen benutzen«, schüttelte Tilda den Kopf.
»Am Donnerstag fuhr ein großes, schwarzes Auto vorbei. Das fuhr nach Norden.«
»So groß wie ein Lieferwagen? War das spätabends?«
»Ja, so kurz vor zwölf, da hatte ich gerade oben im Schlafzimmer das Licht ausgemacht«, erzählte Edla. »Ein schwarzer Lieferwagen war das.«
»Sehr gut … sah der eher neu oder alt aus?«
»Nicht besonders neu. Und an der Seite war eine Werbeaufschrift. Irgendetwas mit ›KALMAR‹ und noch was mit Schweißen.«
Tilda notierte sich die Angaben.
»Großartig. Vielen Dank für die Hilfe.«
»Gibt es eine Belohnung, wenn Sie die erwischen?«
Tilda ließ ihren Block sinken und schüttelte bedauernd den Kopf.
Nach ihrem Besuch bei Edla Gustafsson fuhr Tilda nach Norden und bog auf die Küstenstraße, die um Marnäs herumführte. Sie kam an Åludden vorbei, aber das war
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