Nebelsturm
»Ich glaube nicht, dass … ist das wichtig?«
»Aber absolut. Besonders hier an der Küste ist das sehr wichtig, dass man überprüfen lässt, wie die Energien fließen.« Lisa sah sich im Raum um und legte die Hände vor der Brust übereinander. »Hier sind ganz starke Erdenergien vorhanden … das kann man deutlich spüren. Und die müssen die Möglichkeit haben, ungehindert durch die Gebäude fließen zu können.«
»Ich lasse mir das mal durch den Kopf gehen.«
»Wir haben eine tolle Feng-Shui-Beraterin, die im Frühling die Möbel in unserem Sommerhaus auf Gotland umgestellt hat. Ich kann dir ihre Nummer geben.«
Joakim nickte und hörte förmlich, wie Katrine kicherte. Sie hatte sich über die spirituelle Ader ihrer Nachbarin immer lustig gemacht.
Sie verbrachten einen gemütlichen Abend miteinander. Joakim briet eine Flunder, die er in Marnäs besorgt hatte, und seine Gäste hatten eine Flasche Weißwein dabei. Er trank zum ersten Mal seit vielen Jahren ein Glas. Es schmeckte ihm zwar nicht besonders gut, aber der Alkohol entspannte ihn, und er vergaß Livias Träume und seine tote Schwester für eine Weile.
Livia war an diesem Abend allerbester Laune. Sie saß beim Abendessen dabei und erzählte Lisa lebhaft von den drei Erzieherinnen in ihrer Vorschule – dass zum Beispiel zwei von ihnen zwischendurch immer vor die Tür gingen, um heimlich zu rauchen, den Kindern aber sagten, sie würden nur mal kurz frische Luft schnappen.
Michael erzählte, dass sie auf ihrer Fahrt durch Småland eineElchkuh mit ihrem Kalb am Wegesrand gesehen hatten. Gabriel und Livia hörten gespannt zu.
Der Besuch aus der Großstadt heiterte die beiden so auf, dass es schwierig war, sie ins Bett zu bekommen. Gabriel schlief dann aber sofort ein. Livia wollte sich von Lisa noch eine Geschichte von Michel aus Lönneberga vorlesen lassen.
Zwanzig Minuten später kam Lisa zurück in die Küche.
»Ist sie eingeschlafen?«, fragte Joakim.
»Ja, sie war ziemlich müde … sie wird wie ein Stein schlafen!«
»Das wollen wir mal hoffen.«
Sie blieben noch über eine Stunde zusammen sitzen und unterhielten sich, dann half Joakim ihnen, die Reisetaschen in das Eckzimmer neben dem großen Salon zu tragen.
»Das Zimmer ist gerade fertig geworden. Ihr dürft es einweihen.«
Er hatte tagsüber den Kachelofen angeheizt, und das Gästezimmer war warm und gemütlich.
Eine halbe Stunde später waren alle zu Bett gegangen. Joakim lag im dunklen Schlafzimmer und hörte Lisa und Michael im Eckzimmer reden. Es fühlte sich gut an, Besuch zu haben. Åludden sollte häufiger Gäste beherbergen.
Lebendige Gäste.
Er musste an die Legenden über die Toten auf dem Hof denken, von denen ihm Maria Carlsson erzählt hatte. Und auch Livia hatte solche Dinge über Katrine angedeutet – dass sie an Weihnachten zurückkommen würde.
Sie noch einmal wiederzusehen. Mit ihr sprechen zu können.
Nein. Er durfte nicht so denken.
Wenige Minuten später war Stille eingekehrt.
Joakim schloss die Augen und schlief ein.
Laute Rufe hallten durch das Haus.
Mit einem Ruck schreckte Joakim auf, und sein erster Gedanke galt seiner Tochter.
Livia?
Nein, es war eine Männerstimme.
Er blieb zunächst verschlafen und verwirrt im Bett liegen und erinnerte sich langsam, dass zwei Gäste auf Åludden schliefen.
Es war Michael Hesslins Stimme, die durch die Dunkelheit gellte.
Plötzlich hörte er schnelle Schritte im Flur und Lisas ängstliche Stimme.
Der Wecker zeigte zwanzig vor zwei. Joakim kletterte aus dem Bett und sah zuerst nach den Kindern, die seelenruhig in ihren Betten lagen und schliefen. Aber Rasputin war natürlich geweckt worden und strich unruhig durch den Flur.
Er lief weiter in die Küche. In der Diele war es taghell, und Lisa zog sich gerade Stiefel und Mantel an.
»Was ist denn passiert?«, fragte er.
»Ich habe keine Ahnung … Michael ist plötzlich aufgewacht und hat geschrien. Und dann ist er auf den Hof gerannt und hat sich ins Auto gesetzt. Ich muss mal nachsehen, wie es ihm geht.«
Joakim ging schläfrig zurück in die Küche. Rasputin war nirgends zu sehen, im Haus war es vollkommen still. Er setzte einen Kessel mit Teewasser auf.
Als der Tee fertig war, stellte er sich mit einem Becher in den Händen ans Fenster und sah Lisa neben Michael im Wagen sitzen. Vom Himmel fiel glitzernd der Schnee.
Lisa schien auf Michael einzureden, ihm Fragen zu stellen, aber der starrte nur stumm durch die Windschutzscheibe und
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