Nebeltod auf Norderney
in die Kirche begleiten.
Maria Spatfeld bastelte viel mit ihrem Sohn und erzog ihn zu einer »Leseratte«. Ihre ganze Fürsorge widmete sie ihrem Sohn. Wenn er zur Schule ging, hatte er gefrühstückt und bekam sein Pausenbrot mit. Mittags nach der Schule stand das Essen auf dem Tisch. Dabei achteten Maria und Rudi Spatfeld darauf, dass Albert nicht zum Muttersöhnchen erzogen wurde. Auf der anderen Seite verhütetensie ebenfalls, dass er sich nicht zum Rabauken entwickelte. Das änderte sich auch nicht, als er die letzten Schuljahre am Gymnasium durchlief.
Doch dann durchbrachen Ereignisse die normale Laufbahn des Schülers Albert Spatfeld, die Maria und Rudi Spatfeld bis dato in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet hatten.
In Holthausen gab es eine Wohngegend, die man bei Führungen und gewöhnlich auch bei Spaziergängen gerne ausließ. Es war eine Zusammenballung von Menschen mit bedauernswerten Schicksalen. Schon das Äußere der Häuser verriet vieles über die Bewohner. Der Volksmund nannte die von Unrat und Abfall geprägte Gegend die »Hött«. Doch gerade unter diesen von Vorurteilen verdammten Bewohnern, die des Öfteren mit der Polizei zu schaffen hatten, wohnte seit kurzem eine dunkelhaarige Schülerin, die allen Hindernissen zum Trotz dabei war, ihrem Leben eine andere Richtung zu geben.
Sie war nach Holthausen gezogen, weil ihre Mutter in Frankfurt verstorben war. Sie hatte von ihrem Vater getrennt gelebt, der als heruntergekommener Arzt zum Alkoholiker der übelsten Sorte zählte. Bei ihm wohnte eine »Hure«, die ebenfalls soff.
Das Mädchen hieß Carmen Angeniess und besaß die Merkmale einer südeuropäischen Schönheit. Sie besuchte nicht nur wie Albert Spatfeld das Jan-Willem-Gymnasium in Düsseldorf, sondern auch seine Klasse. Es war weniger ihr fremdes Aussehen, das dazu führte, dass die Klasse Carmen Angeniess schnitt, sondern ihre Herkunft aus dem asozialen Viertel.
Doch bereits nach wenigen Schultagen war es der beliebte Albert Spatfeld, der sich auf ihre Seite schlug und nicht lockerließ, ihr beizustehen, mit genügend Selbstvertrauen der Klasse gegenüberzutreten.
Carmen Angeniess schaffte mit der Unterstützung ihres neuen Freundes, der sich selbst nicht scheute, sie in der »Hött« zu besuchen, zufrieden stellende Leistungen.
Carmen fand aber auch weiterhin keine Duldung im Kreise ihrer Mitschüler, erst recht nicht bei deren Eltern. Rudi und MariaSpatfeld waren der gleichen Meinung. Hilflos standen sie der Situation gegenüber. Es gab oft Streit. Das war kein Umgang für ihren Sohn.
Im Hause Spatfeld kam es jedoch später zu einem Umdenken. Es war an einem Samstagnachmittag im Frühjahr, als Albert Carmen Angeniess mit nach Hause brachte und sie den Eltern vorstellte. Sie reichte den verlegenen Eltern die Hand und begrüßte sie mit einem herzhaften Lächeln.
Rudi und Maria Spatfeld schwiegen betreten. Carmen Angeniess hatte schwarzes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug, der ihr fast bis zur Taille reichte. Sie hatte ein schönes Gesicht mit spitzer, flacher Nase. Ihr Teint war südländisch braun und ihre Augen waren groß und dunkel. Sie trug eine Jeans, die ihre schlanke Figur unterstrich. Die Rundungen ihrer Brüste formten das dunkelblaue Pulloverhemd. Sie war einen Kopf kleiner als Albert. Sie kannte die Abneigung, die Alberts Eltern ihr entgegenbrachten.
Von der Küche her zog der Duft des Kuchens in das Wohnzimmer, den Maria Spatfeld gebacken hatte. Rudi Spatfeld änderte sein Urteil. Sein Gesicht hellte sich auf. Er fand die junge Frau sehr sympathisch.
»Seien Sie nicht böse. Ich war für meine Firma mehrmals in der Türkei. Wir haben dort Mitarbeiter eingestellt«, sagte er freundlich.
Carmen Angeniess lächelte freundlich.
»Meine Mutter war Türkin. Sie ist vor etwa einem Jahr verstorben. Ich wohnte bei ihr. Das Geld wurde knapp, deshalb bin ich hier«, sagte sie.
»Ich denke, es ist Kaffeezeit. Setzen wir uns ins Esszimmer«, sagte Maria Spatfeld und rang mit ihren Gefühlen. So hatte sie sich die Freundin ihres Sohnes nicht vorgestellt.
Sie überließ es ihrem Mann, sie in das Esszimmer zu führen, ihr und dem Sohn die Plätze zuzuweisen. Sie ging in die Küche und bereitete den Kaffee zu. Ihr Mann deckte den Tisch. Sie trug die Mandelcremetorte herein, holte den Kaffee und schenkte ein.
»Albert, bediene bitte Fräulein Angeniess«, sagte der Vater und reichte seiner Frau Sahne und Zucker. Ihm lag daran, mehr über dieBesucherin zu
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