Nebeltod auf Norderney
bewunderten den kleinen Jungen, der bei der Geburt 4250 Gramm wog und 52 Zentimeter groß war. Als Carmen mit dem Baby das Klinikum verließ, machten sie zur Geburt des Jungen ein finanzielles Geschenk und flogen nicht ohne Sorgenfalten zurück nach Mallorca, denn es zeichnete sich alles so ab, wie sie es erwartet hatten.
Carmen gab zu verstehen, dass sie so schnell wie möglich wieder arbeiten wollte. Für Albert blieb die Rolle als Hausmann. Selbst die Tapetenmustererstellung fiel der Betreuung des kleinen, niedlichen Kevin zum Opfer. Der kleine Kevin krempelte alles um. Er stand plötzlich im Mittelpunkt. Um ihn drehte sich alles. Dabei agierte Albert immer mehr in der Rolle des Erziehers. Er zeigte großes Geschick im Umgang mit dem Baby und schloss das Kind in sein Herz.
Natürlich hatte auch die Mutter den Jungen gern. Aber Carmen ging in ihrem Beruf auf und sah sich auch notgedrungen in der Rolle des Ernährers, da Alberts Kunst keine Früchte trug. Carmen bewährte sich wieder im Team des Klinikums.
Doch jetzt traten Mängel zum Vorschein, die bisher keine Rolle gespielt hatten. So passte der Kinderwagen nicht auf den Balkon, und es war zu laut im Haus. Das empfanden Carmen und Albert als störende Zumutungen. Das rief den Opa erneut auf den Plan. Er verkaufte seinen Bungalow in Itter und kaufte in Aachen-Brand ein Grundstück. Es bot genügend Platz für ein Haus, Auslauf, Schaukel und Sandkasten für seinen Enkel. Kurz danach begannen die Handwerker mit dem Bau.
Der Opa flog extra ein, um die Bauarbeiten zu kontrollieren. Er tat es für Kevin, der sich großartig entwickelte, und für ihren Sohn Albert. Carmen verhielt sich in ihren Augen als promovierte Internistin arrogant. Sie wusste auch nicht einzuschätzen, was Albert leistete. Er sorgte dafür, dass ihre weißen Kittel vorrätig waren und die Wäsche gebügelt im Schrank hing. Dafür lebte er von ihrem Einkommen.
Dabei brauchte Carmen viel Geld für sich. Sie zog sich gerne schick an und machte etwas her mit ihrem südländischen Aussehen. Sie liebte es, im Gegensatz zu Albert, auszugehen, und fühlte sich wohl in Gesellschaft ihrer Kollegen. Dazu hatte sie am Klinikum oft Gelegenheit, denn im Rahmen der Funktion als Ausbildungskrankenhaus gab es zum Feiern viele Anlässe.
Oft hatte Albert den Eindruck, Carmen käme nur zum Schlafen nach Hause. Wie in anderen Städten, so war auch in Aachen der Betrieb am Klinikum nur mit Überstunden der Ärzte aufrechtzuhalten. Dennoch kam der kleine Kevin nicht zu kurz. Er hielt es allerdings auf ihren Armen nicht lange aus und ließ sich nur ungern von der Mama küssen.
Als Kevin drei Jahre und älter war, ließ er seinem Papa etwas mehr Zeit, die Albert nutzte, sich wieder künstlerisch zu betätigen, eine Beschäftigung, die ihm viel Freude bereitete, aber seine finanzielle Situation nicht verbesserte. Er hatte neben starken Abstraktionen auch gegenständliche Bilder anzubieten, die trotz aller Bemühungen keine Käufer fanden. Aber im neuen Haus hatte er wenigstens Platz und genügend Lagermöglichkeiten für seine Werke.
Ohne das offene Gespräch mit Carmen zu suchen, täuschte er den Verkauf einiger seiner Werke vor und nahm bei der Stadtsparkasse einen Kredit auf, um flüssig zu bleiben. Carmen fuhr ihren eigenen Wagen – einen Golf Cabrio –, und er hatte sich einen Traum erfüllt und einen BMW gekauft.
Er flog mit Kevin nach Mallorca, um seine Mutter noch einmal zu sehen, bevor sie starb. Sie hatte Darmkrebs. Ein halbes Jahr nach ihrem Tod verunglückte sein Vater tödlich, als er mit Kevin zu Besuch auf Mallorca war. Er stürzte nach einem Schwächeanfall hinter dem Haus auf einen Felsen und verstarb, bevor der Arzt kam.
So furchtbar auch der Tod seiner Eltern für Albert war, so hatte er andererseits doch auch nicht zu verachtende Folgen. Der Verkauf der großen spanischen Wohnung gestattete es Albert, seine Kredite zu tilgen.
Kevin entwickelte sich prächtig. Er war für sein Alter groß und kräftig. Er hatte von seiner Mutter den dunklen Teint und dieschwarzen Locken geerbt. Er genoss eine ziemlich freie Erziehung. Kevin war weder weinerlich noch ein ungezähmter Draufgänger. Er handelte überlegt und hatte ein freundliches Wesen. Zum vierten Geburtstag schenkte sein Papa ihm eine Spanienreise nach Nerja.
Das alte spanische Seebad mit dem Balkon Europa lag in der Nähe von Malaga und war ihm im Reisebüro empfohlen worden. Sie flogen ab Düsseldorf. Die Mama fuhr sie zum Flughafen.
Weitere Kostenlose Bücher