Nebeltod auf Norderney
sehr erregt. Dodo Wilbert hatte sie aus ihren Gedanken gestrichen. Sie ging ins Wohnzimmer und trank den Rest Tee, der in ihrer Tasse war.
Sie überlegte lange, ob sie Albert Spatfeld von diesem Vorfall in Kenntnis setzen sollte. Sie kam zu dem Entschluss, ihn erst dann zu informieren, falls Dodo sich wieder meldete, ansonsten entschied sie, über ihr Verhältnis mit ihm zu schweigen.
Sie ging ins Arbeitszimmer, entnahm der Schreibtischschubladeein Blatt Papier und verfasste eine Aktennotiz, die sie zu ihren Unterlagen steckte. Daraufhin verließ sie die Wohnung, ging zum Rathaus, meldete ihren Vater ab und sprach beim Friedhofsamt vor. Gegen Mittag traf sie sich wieder mit Albert Spatfeld und Kevin im »Seehund«. Dort aßen sie eine Rinderroulade mit Rotkohl und Salzkartoffeln.
Da das schöne Strandwetter anhielt, suchten Vater und Sohn am Nachmittag den Strand auf, während Heide Calvis noch dringende Korrespondenz erledigen musste.
Am Abend fuhr Kevin vor dem Haus mit dem Kettcar herum, während Albert Spatfeld Heide half, den Nachlass des alten Herrn zu ordnen. Mit Beginn der Dunkelheit gingen sie zum Ferienhaus. Sie brachten Kevin zu Bett und studierten die Konten des alten Lehrers. Selbst Heide Calvis war erstaunt über den Wohlstand ihres Vaters. Abgesehen von Sparbeträgen besaß er auch Aktien der gängigen Gesellschaften, aber auch einige niederländische Werte.
»Böse Zungen könnten behaupten, ich wäre nur hinter deinem Geld her«, sagte Albert Spatfeld und addierte das Erbe.
Sie lachte und küsste ihn. »Es ist im Sinne der Kunst, wenn du nicht arbeiten musst. Dabei ist es unsere Pflicht, den Reichtum für Kevin zusammenzuhalten«, sagte sie.
Er unterbrach seine Tätigkeit, nahm ihr Gesicht in seine Hände, sah ihr tief in die Augen und flüsterte: »Ich liebe dich mehr, als ich jemals einen Menschen geliebt habe. Großes Ehrenwort.« Er erwiderte die Küsse und begann mit ihr zu schmusen. Sie waren beide verheiratet gewesen und machten sich nichts vor.
Sie sprachen nett über ihre verstorbenen Partner. Vor allem Heide hatte in der Angst gelebt, sie würde nie mehr so glücklich werden können wie früher, nachdem ihr Mann auf so tragische Weise ums Leben gekommen war.
Ihre Liebe war auch für Kevin, der seine Stiefmutter gern hatte, ein Glücksfall. Aber auch die Insulaner begannen Vater und Sohn ihren Respekt zu zeigen.
Baltrum war ein Dorf, und Neuigkeiten sprachen sich in Windeseileherum. Vor allem sein mutiger Rettungsversuch hatte gezeigt, dass Albert Spatfeld ein ganzer Kerl war.
Die Einheimischen grüßten Vater und Sohn, wenn sie mit Heide Calvis durch das Dorf spazierten. Spätestens am Tage der Beerdigung des alten Herrn lernten die übrigen Insulaner Albert Spatfeld und seinen Sohn Kevin kennen, denn sie begleiteten die Tochter zur Trauerandacht in die evangelische Kirche.
Viele kamen, um Abschied von dem beliebten Ratsherrn und Lehrer zu nehmen. Pastor Ullmann fand die richtigen Worte und würdigte die Leistungen des Verstorbenen. Auch der ehemalige Schulrat fand Worte der Würdigung. Für die Gemeinde dankte der Bürgermeister dem Toten.
Heide Calvis saß in der vordersten Bank, neben ihr der neue Freund mit dem hübschen, schwarz gelockten Sohn. Sie trug ein schwarzes Kostüm und einen Hut mit kurzem Schleierrand. Er hatte eine schwarze Nappalederjacke, ein weißes Oberhemd mit schwarzer Krawatte und eine dunkelgraue Cordjeans an. Der kleine Junge trug einen tiefblauen V-Ausschnittpullover, ein weißes Hemd mit dunkler Fliege und eine Jeans. Mit seiner Sonnenbräune wirkte er südländisch.
Der Sarg mit dem Toten stand umgeben von Kränzen und Blumen in der Nähe des Altars. Unter den Klängen der Orgel trugen die befrackten Männer den Sarg aus der Kirche und luden ihn auf den Pferdekarren. Der Bestatter und sein Gehilfe brachten Kränze und Blumengebinde zum Wagen und hängten sie an die dafür vorgesehenen Halterungen. Der Pfarrer folgte ihnen langsamen Schrittes.
Heide Calvis nahm den kleinen Kevin an die Hand und folgte mit ihrem Freund dem Pfarrer. Die Besucher der Kirche strömten nach vorn in das Kirchenschiff und formierten sich vor der Seitentür zu einer Prozession.
Der starke Seewind griff nach ihnen, als sie die Kirche verließen und dem Leichengefährt folgten. Man hörte das leise Gemurmel der Leute, die sich unterhielten. Es war schwülwarm an diesem Vormittag. Die Straße mit Pensionen und Hotels endete vor den weiten Salzwiesen des Wattenmeers.
Der
Weitere Kostenlose Bücher