Nebeltod auf Norderney
Küste würde seinem Entwicklungsprozess förderlich sein. Davon war er überzeugt. Sein Haus in Brand zu finanzieren war ihm schwergefallen und nur möglich geworden dank des Kapitals aus der Lebensversicherung für Carmen. An ihren Tod wollte er nicht mehr erinnert werden. Alles in allem bot sich für ihn die günstige Gelegenheit, das Haus in Brand zu verkaufen und mit Kevin an die Nordsee zu ziehen. Darunter würde sein Verhältnis zu seinem Galeristen mit Sicherheit nicht leiden.
Kevin kam im kommenden Jahr in die Schule. Er war aufgeweckt und in jeder Lage den Anforderungen gewachsen. Hinzu gesellte sich die Tatsache, dass Heide Calvis Lehrerin war.
Kevin saß im Sand und fütterte die Möwen. Er griff in die Tüte, zerbröckelte mit der Hand das Croissant und warf die Brocken den Möwen zu, die bettelnd im Sand stolzierten. Sie rangelten sich und jagten sich die Krumen ab. Wie bei den Menschen, dachte Albert Spatfeld.
Abends holten sie Heide Calvis zu Hause ab. Da viele Besucher ihr bereits ihr Beileid ausgesprochen hatten, war sie sehr abgespannt.
Albert Spatfeld bereitete das Abendessen zu, während Heide Calvis mit Kevin spielte. Nach dem Essen wurde Kevin müde und ließ sich von Heide zu Bett bringen.
Albert Spatfeld und Heide Calvis machten es sich auf dem Sofa bequem.
Pastor Ullmann gehörte zu den Autoritäten auf der Insel. Er war beliebt und geachtet. Er kam aus Hannover. Seine Frau war im Vorjahr verstorben. Sie kam aus Emden. Ullmann ging auf die Sechzig zu. Ihn hatte eine enge Freundschaft mit dem verunglückten Lehrer verbunden. Darum nimmt es nicht wunder, dass er Heide Calvis vor der Beisetzung ihres Vaters einen Besuch abstattete.
»Liebe Heide, nicht nur als Pfarrer, sondern auch als der ältere Mensch, aus dessen Hand du Bonbons genommen hast, sage ich dir, dass es mir unsäglich leidtut, dass dich erneut das Schicksal hart getroffen hat«, sagte der schlanke Mann mit ernstem Gesicht. Er stand vor der Tür der Wohnung.
»Herr Ullmann, danke für die lieben Worte. Kommen Sie rein«, sagte sie und hielt ihm die Tür. Sie gingen zum Wohnzimmer. »Nehmen Sie Platz«, sagte sie und servierte den Tee. Sie hatte Butterkuchen besorgt und bediente den Pfarrer.
»Zuerst dein lieber Mann und nun dein Papa. Zwei herrliche Menschen«, sagte er und aß vom Kuchen. »Du kennst meine Ansicht. Ich gehe davon aus, dass es ein Leben nach dem Tode gibt«, fuhr er fort.
Sie war nicht bereit, ihm zu widersprechen. Aber für sie war das Ende eine glatte Formel, die lautete: Tot ist tot! Sie gab ein paar nichts sagende Antworten und beendete das Thema. Sie kamen auf die Verdienste des Papas für die Insel zu sprechen. Der Pastor machte sich Anmerkungen für seine Predigt.
»Du hast nach deiner Operation den Schuldienst quittiert. Ich gehe davon aus, dass du Baltrum erhalten bleibst?«, fragte der Pastor neugierig.
»Herr Ullmann, ich werde mich um das Grab meiner Eltern kümmern«, sagte sie und schenkte Tee nach. »Vielleicht wohne ich auf dem Festland oder auf der Insel. Das Schicksal hat mich mit einem Mann bekannt gemacht, der einen reizenden Jungen alleine aufzieht, weil seine Frau verstorben ist.«
»Du bist noch zu jung, um allein zu bleiben. Ich wünsche dir viel Glück«, sagte Ullmann.
»Sie werden den jungen Mann und seinen Sohn noch kennen lernen. Er kommt aus Aachen, ist Maler und hat gestern hinter dem Bauhof noch versucht, Vater aus den Fluten zu retten«, sagte sie nicht ohne Stolz.
»Ich habe mir sagen lassen, dass das sehr mutig war«, meinte er anerkennend.
»Ja, leider umsonst«, sagte sie.
Nach einer Stunde erhob sich der Pfarrer, wünschte ihr weiterhin genügend Kraft, die Beerdigung unbeschadet hinter sich zu bringen, und ließ den Freund aus Aachen und seinen kleinen Sohn grüßen.
Ullmann ist in Ordnung, dachte Heide Calvis, als das Telefon sie aus den Gedanken riss. Sie betrat das Arbeitszimmer, nahm den Hörer ab und meldete sich. Sie erschrak, als sie die Stimme des Anrufers erkannte. Es war Dodo Wilbert, ihr ehemaliger Freund.
»Meine geliebte Exfreundin, es wird Zeit, dass ich mich bei dir melde. Dir verdanke ich meinen Aufenthalt im Knast. Ich stehe auf Wiedergutmachung. Dein verehrter Mann hat das Zeitliche schon gesegnet. Wie stehen meine Chancen?«, fragte er und lachte ironisch.
»Dodo, bitte unterlass diese Gemeinheiten. Meine Eltern sind erst vor kurzem gestorben! Zudem habe ich wieder einen festen Freund!«, sagte sie und legte den Hörer auf. Sie war
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