Nebenan: Roman
Drachenfels zu ersäufen. War ’ne ziemlich dumme Idee. Er hat das sehr krumm genommen und sie gut durchgebraten. Weil sie aber eine herausragende Sagengestalt ist, manifestiert sie sich, selbst wenn man sie tötet, nach einer Weile aufs Neue. Sie kann sich dann nicht mehr daran erinnern, gestorben zu sein. Und ich wette, wenn sie noch einmal Gelegenheit bekäme, den Drachenfelsdrachen in die Falle zu locken, sie würde es wieder tun.«
Mozzabella nahm einen Schluck Tee und gab noch einen Löffel Honig in die Tasse. Till war sich sicher, dass mittlerweile mindestens die Hälfte des Tasseninhalts Honig sein musste.
»Anders sieht es mit den ganzen namenlosen Geschöpfen aus. Es gibt keine Heinzelfrau und auch keinen einzigen Heinzelmann, von denen in einem Märchen ein Name überliefert worden wäre. Wir treten immer in Gruppen auf. Die Überlieferung kennt keine einzelnen Individuen. Stirbt einer von uns, dann ist es im Gegensatz zu den berühmten Sagengestalten endgültig. Wir werden nicht wieder erstehen. Und so wird es auch sein, wenn euch etwas passiert. Diese Welt ist kein Abenteuerspielplatz für Menschen. Es ist besser, wenn ihr wieder dahin zurückgeht, wo ihr hingehört. Ich werde mit euch kommen und dafür sorgen, dass Laller euch in Zukunft in Ruhe lässt.«
»Und wenn wir doch gehen?«, fragte Till leise. »Wir sind Experten für Fantasyabenteuer.«
Mozzabella nahm einen getrockneten Apfelring, kaute gedankenverloren darauf herum und musterte Till. »Es ist immer dasselbe mit euch Menschen. Ihr haltet euch immer gleich für Helden. Liegt es daran, dass ihr euch nicht vorstellen könnt, dass euch etwas passiert?« Sie schüttelte den Kopf. »Du solltest deinen Freunden Gelegenheit geben, jeder für sich diese Entscheidung zu treffen. Ist dir eigentlich klar, dass Neriella ganz krank vor Sorge um dich ist? Im Gegensatz zu dir weiß sie, worauf du dich eingelassen hast.«
»Du kennst sie?« Till war überrascht. Er hatte das Gefühl gehabt, dass Mozzabella schon seit einer Ewigkeit nicht mehr in der Welt der Menschen gewesen war.
»Sie ist etwas sehr Besonderes. Und, offen gestanden, verstehe ich nicht, was sie an dir findet. Möchtest du ihr noch einmal schreiben?« Es war mehr ein Befehl als eine Frage. »Es ist vielleicht das Letzte, was sie von dir zu hören bekommt.«
Till begann sich langsam zu fragen, ob Mozzabella vielleicht mit den Dunklen unter einer Decke steckte, so vehement wie sie versuchte ihm dieses Abenteuer auszureden. Dann erinnerte er sich daran, dass sie ohne Mühe in seinen Gedanken lesen konnte. Er sollte auf der Hut sein und besser an Belanglosigkeiten denken! »Dieser Strogow … Benutzt ihr wirklich Mäuse als Kuriere?«
»Natürlich! Mäuse sind charakterfest und zuverlässig.« Es schien, als habe Mozzabella seine Befürchtungen nicht mitbekommen. Zumindest ließ sie sich nichts anmerken. »Wir haben es auch mit Vögeln versucht, aber sie gehen zu häufig verloren. Kaninchen sind zu ängstlich und Ratten …« Die Älteste schnitt eine Grimasse. »Ratten sind einfach nicht vertrauenswürdig. Bei denen weiß man nie, an wen alles sie eine Abschrift der Botschaft verschachern, die sie gerade bei sich tragen. Bei Mäusen ist das anders … Du würdest dich wundern, wenn du wüsstest, wie viel Menschen und Mäuse gemeinsam haben. Jedenfalls, wenn man sie mit etwas Abstand betrachtet. Strogow lässt auch keine Gelegenheit aus, den Helden zu spielen. Ich glaube, eher würde er sein Augenlicht geben als einen Verrat zu begehen.« Sie schwieg einen Herzschlag lang. »Fühlst du dich wie ein Verräter, wenn du nicht tust, was Laller von euch verlangt? Ist das ehrenhaft, wenn man sinnlos sein Leben opfert? Du möchtest ein Ritter sein. Ein Held! Aber für wen? Für Neriella bist du es schon! Und deine Freunde? Sie kennen dich, auch ihnen brauchst du nichts vorzumachen. Da bleibst dann nur noch du. Was ist es, was du hinter deinem vorgeblichen Heldentum verstecken willst?«
»Genug!« Till sprang auf und trat vom Tisch zurück.
Mozzabella goss sich eine weitere Tasse Tee ein. Sie sah ihn fragend an. »Möchtest du auch einen Schluck?«
Der Student wandte sich ab. Er konnte ihren Blick nicht mehr ertragen. »Versuchst du wieder in meinen Gedanken zu lesen?«
Sie lachte. »Die meiste Zeit ist dafür keine Zauberei notwendig. In manchen Dingen sind sich alle Männer gleich, ganz egal ob Kobold, Leprechaun, Heinzelmann oder Mensch. Du liebst Neriella. Das spüre ich. Warum also
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