Nebenweit (German Edition)
Vorfahren aus unserem Volk haben. Zu Ihrer zweiten Frage – Frau Dr. Beauchamp ist eine meiner engsten Mitarbeiterinnen und hat mir natürlich berichtet, dass Sie sich von Ihnen hat überreden lassen. Ist vielleicht ganz gut so, das erleichtert mir einige Erklärungen. Zum Beispiel Ihre Müdigkeit, von der mir Ihre Gattin berichtet hat. Das kommt –«
»Ich heiße Carol«, fiel ihm ›meine Gattin‹, typisch Amerikanerin, ins Wort, was er mit einem höflichen Lächeln und einem Kopfnicken quittierte.
»Sehr liebenswürdig, Carol, mein Name ist Jacques.«
Er sah mich fragend an, worauf ich mit der Andeutung einer Verbeugung »Bernd, wie Sie ja wissen« erklärte.
»Das gibt es bei diesen Versetzungen häufig, auch wenn es zu keiner körperlichen Versetzung, also einem ›Rutsch‹, sondern nur zu einem kurzen Einblick in eine Anderwelt kommt. Unsere Wissenschaftler erklären das mit unterschiedlichen Energieniveaus. Aber fragen Sie mich bitte nicht, was damit gemeint ist.«
***
Wir hatten alle drei am Couchtisch Platz genommen, Carol hatte Tee gekocht und ein paar Schnittchen gezaubert und wir hatten ein paar Minuten Small Talk zelebriert, bis ich schließlich meine Ungeduld nicht mehr zügeln konnte.
»Ich würde es jetzt doch begrüßen, wenn wir zur Sache kommen könnten«, meinte ich etwas abrupt zu unserem Besucher gewandt, nachdem ich eine Weile die perfekte Art bewundert hatte, mit der er die Teetasse auf dem Unterteller balancierte. Wäre er eine Frau gewesen, so hätte ich vermutet, dass er eine Finishing School for Ladies besucht hatte, aber für Gentlemen gab es dergleichen nach meiner Kenntnis nicht. Gentlemen kamen mit diesem Stil bereits zur Welt.
»Ja, selbstverständlich. Gerne«, nickte unser neuer Freund und stellte seine Tasse auf dem Couchtisch ab. »Am besten beginne ich damit, dass ich mich bei Ihnen für ein paar, na ja, sagen wir Ungereimtheiten entschuldige.
Der Reihe nach. Die Forsthütte gehört nicht uns. Die Männer, die Sie dort belauscht haben, gehören nicht zu meinen Leuten. Und Sie waren nicht der Einzige, der sie belauscht hat. Wir hatten dort auch Mikrofone angebracht. Anders hätte ich nie von Ihnen erfahren und auch nicht so schnell Kontakt mit Ihnen aufnehmen können. Sie haben das übrigens wirklich äußerst geschickt angestellt, noch dazu, wo Sie doch im Gegensatz zu meinen Leuten Amateurstatus haben. Kompliment.«
Ich muss wohl ziemlich verdattert gewirkt haben, denn Dupont hielt inne und sah mich fragend an. »Habe ich Sie jetzt erschreckt?«
»Könnte man sagen, ja. Was waren das dann für Leute?«
»Tradis, Traditionalisten. So nennen wir sie. Hier in Ihrer Zeitlinie, meine ich. Angehörige der Gruppe um Antolax, die sich in der Germaniawelt niedergelassen hat. Selbst nennen sie sich ›Eine-Welt-Bewegung‹.«
»Das ist doch die Zeitlinie, in der Deutschland eine Diktatur ist und ganz Europa unterworfen hat?«, wollte Carol wissen und beugte sich interessiert vor. Ihre Tasse hatte sie bereits bei Duponts ersten Worten abgestellt. Ich registrierte, dass sie den Begriff Zeitlinie inzwischen mit großer Selbstverständlichkeit benutzte.
»Ganz richtig. Es handelt sich um eine Abzweigung von der Zeitlinie, aus der Bernd hier stammt. In Bernds Welt hat Deutschland vor sechzig Jahren den Zweiten Weltkrieg verloren und war dann eine Weile besetzt, ist aber gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts zur wirtschaftlichen Führungsmacht des Kontinents aufgestiegen, der sich zu einer Art losen Föderation, aber ohne Zentralregierung wie in dieser Zeitlinie zusammengeschlossen hat. In der Germaniawelt hingegen hat Deutschland unter den Nationalsozialisten den Krieg gewonnen und die Staaten Europas teils annektiert, teils dominiert es sie als eine Art Vasallenstaaten unter scheinbar selbstständigen Regierungen, die aber in Wirklichkeit alles Marionetten sind. Und in jener Welt hat sich Antolax – dort unter dem Namen Robert Falkenberg – eingenistet und macht uns Schwierigkeiten, große Schwierigkeiten sogar.«
»Ich denke, Sie sollten uns einmal über diesen Konflikt zwischen Traditionalisten und Fortschrittlichen aufklären«, schlug ich vor. »Bis jetzt habe ich diese Kontroverse immer als eine Art Glaubenskrieg betrachtet, bloß als eine intellektuelle Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen, könnte man vielleicht sagen. Aber ›intellektuell‹ trifft offenbar den Charakter dieser Auseinandersetzung nicht ganz.«
»Das haben Sie richtig erkannt«,
Weitere Kostenlose Bücher