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Nebenwirkungen (German Edition)

Nebenwirkungen (German Edition)

Titel: Nebenwirkungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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Er hörte nicht hin, denn was Samantha ihrer Mutter zu erzählen hatte, beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit. Die Katastrophe, die über sein Leben hereingebrochen war, war von Menschen verursacht, und die Verantwortlichen befanden sich auf diesem Schiff!
    Während sich Sophie allmählich beruhigte, als sie sich an der Schulter ihrer Tochter den Schmerz von der Seele redete, kündigte sich draußen auf offener See neues Unheil an. Luftdruck und Temperatur sanken rapide und die Windstösse steigerten sich im Nu zu gefährlichen Sturmböen. Der letzte Hubschrauber hatte eben wieder abgehoben, als ihn unvermittelt ein derart heftiger Seitenwind erfasste, dass das schwere Gerät wie ein Laubblatt im Gewittersturm in die Höhe gerissen wurde, zur Seite kippte und mit unerhörter Gewalt an die Bugfront des mächtigen Brückenaufbaus geschleudert wurde. Die mit voller Kraft drehenden Rotorblätter bohrten sich kreischend in die Wand, zersplitterten, der Rumpf des Hubschraubers krachte auf das Landedeck, Tanks barsten, versprühten ihren hochexplosiven Inhalt, der sich augenblicklich an glühendem Metall entzündete und die sechs Decks des Bugaufbaus in eine funkensprühende Feuersäule hüllte. Dicker, ätzender, schwarzer Qualm stieg in den düsteren Abendhimmel und fand durch Ritzen und Spalten den Weg ins Schiffsinnere. Die zwei Mann Besatzung im Hubschrauber hatten nicht die geringste Überlebenschance, ebenso wie der unglückliche Sanitäter des vierten Teams, der sich zum Zeitpunkt des Unglücks noch am Fuß des Landeplatzes aufhielt.
    Gelähmt vor Entsetzen betrachteten die Offiziere auf der Brücke das Inferno, das sich unerbittlich zu ihren Füßen ausbreitete. Die Zeit schien stillzustehen. Lange Sekunden vergingen, bis sich der Kapitän gefasst hatte und die Befehlskette für Notsituationen startete, die er und seine Crew hundert Mal unter verschiedensten Bedingungen geübt hatten. Doch diesmal war alles anders. Das war kein gewöhnlicher Feueralarm, der ausgelöst wurde, wenn ein unachtsamer Passagier trotz Verbots rauchte und seine Kabine in Brand setzte. Der Brand einer Kabine, auch wenn er auf zehn, zwanzig weitere übergriff, war schlimm, aber darauf waren Schiff und Crew vorbereitet. Jetzt aber stand der ganze Bug des Schiffs in Flammen. Es war zu befürchten, dass die Brücke in Kürze evakuiert werden musste, das Schiff unmanövrierbar wurde, die Kommunikation innerhalb des Schiffs und mit der Außenwelt gänzlich zusammenbrechen würde, sobald sich das Feuer durch die Kabelschächte gefressen hatte. Hinzu kam, dass die Passagiere ihre zugewiesenen Sammelplätze nicht benutzen konnten, denn sowohl die Royal Promenade, als auch der Hauptspeisesaal waren bereits durch Kranke belegt, und das große Auditorium des Bordtheaters diente als Impfstation. Genau in diesen eben eingerichteten medizinischen Bereich unweit der Absturzstelle drangen nun die beißenden Rauchschwaden, stiegen zu den Detektoren an die Decke, ohne das Sprinklersystem zu beeindrucken und trieben die Helfer und Wartenden in wilder Panik aus dem Saal.
    »Feueralarm!«, schrie Rose bestürzt, als sie begriff, was der eindringliche Klingelton bedeutete. »Das Schiff brennt, wir müssen raus!« Ihre Gäste schienen den Alarm erst jetzt zu hören. Verwirrt beobachteten sie, wie Rose ins Badezimmer eilte und mit einer Hand voll feuchter Tücher zurückkehrte. »Atemschutz, falls es nötig wird. Los, kommt jetzt.« Mechanisch erhoben sie sich, als die Sprechanlage knackte und eine weibliche Stimme sagte:
    »Feueralarm. Das ist keine Übung. Es besteht keine unmittelbare Gefahr. Bitte suchen Sie ruhig das Casinodeck auf, Deck 10. Ich wiederhole, das ist k ...« Die Stimme brach ab. Nur noch statisches Rauschen war zu hören.
    »Kommen Sie, Ross, wir sollten uns beeilen«, rief Sophie, als der Mann überraschend in sein Zimmer verschwand. Kopfschüttelnd wollte sie an die Tür klopfen, als sie schon wieder aufgestoßen wurde.
    »Jetzt bin ich bereit«, murmelte er und folgte den drei Frauen. Unvermittelt löschten die Lichter, es wurde dunkel im Korridor. Nur das schwache rote Licht des Notausgangs war noch zu erkennen. Der anhaltende Alarm drängte zur Eile, obwohl in diesem Abschnitt des Schiffs nichts von Rauch oder Feuer zu spüren war. Mühsam tasteten sie sich, gemeinsam mit immer zahlreicheren weiteren Passagieren, die Treppen hinunter. Samantha ließ die Hand ihrer Mutter keine Sekunde los. Nichts würde sie jetzt wieder trennen. Endlich

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