Nebenwirkungen (German Edition)
endlich zur Ruhe kamen. Von den 3480 Passagieren und 1350 Besatzungsmitgliedern hatten 1935 überlebt, 872 davon mit größtenteils schweren, bleibenden Hirnschäden und Lähmungen.
KAPITEL 12
Paris, Technologiepark
S ieht aus wie eine uneinnehmbare Festung«, brummte Robert, als er mit Samantha aus dem Taxi stieg und an die schwarz glänzende Granitmauer des BiosynQ Hauptsitzes hinaufblickte.
»Nicht mehr«, bemerkte Samantha spöttisch. Sie war entschlossen, diese Festung heute zu knacken. Der Memorystick des tragisch verstorbenen Monsieur Marchand hatte sich als nahezu unerschöpfliche Quelle äußerst nützlicher Informationen erwiesen. Die IT-Spezialisten benötigten zwar einige Tage, bis sie endlich mit Bastiens und Roberts Hilfe das richtige Passwort für die verschlüsselte Datei gefunden hatten, doch der Aufwand hatte sich mehr als gelohnt. Hunderte von Dokumenten und Fotos entpuppten sich als sauber aufgearbeitete Version des verschwundenen Tagebuchs, eine peinlich genaue Chronik des gescheiterten Feldversuchs mit dem synthetischen NRTI-Impfstoff gegen Aids. Aus den Unterlagen ging klar hervor, dass dieser Einsatz in Botswana, der mit der tragischen Vernichtung eines Dorfes und seiner Bewohner geendet hatte, ohne rechtmäßige Bewilligung durchgeführt worden war. Selbst der obersten Führung des Konzerns war der eigentliche Zweck der Tests verborgen geblieben. Die Wahrheit endete bei Célia Mathieu, dem General, der offensichtlich mit eiserner Disziplin über eine verschworene Truppe loyaler Mitarbeiter herrschte. Bis auf den Abweichler Marchand, der seine späten Gewissensbisse mit dem Leben bezahlen musste. Wie Roberts Kollege Peter vermutet hatte, wirkte das von BiosynQ produzierte Medikament anfangs wie geplant, doch die unglaubliche Anpassungsfähigkeit des HI-Virus führte dazu, dass die Mutation in kurzer Zeit außer Kontrolle geriet. Es entwickelte sich eine noch aggressivere Variante des Virus; statt sie zu dämpfen oder zu stoppen, beschleunigte die Impfung die Krankheit und den Verfall der Betroffenen. Marchand hatte schon damals zweifelsfrei nachgewiesen, dass eine Fehlfunktion des Microarray-Syntheseautomaten seiner Firma für diese Entwicklung verantwortlich war und mit dem Bericht an Célia sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Die Entdeckung der ebenso markierten synthetischen Prionenfabriken im Labor in Cambridge belegte schließlich endgültig, dass Célias Team letztlich fahrlässig die schlimmste Pandemie seit der großen Grippewelle anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts ausgelöst hatte.
Kein Wunder wurde der Brief der Chefredaktion von Life! mit diesen Hinweisen und der Bitte um einen Interviewtermin umgehend vom Büro des Geschäftsführers persönlich beantwortet.
Die elegante Empfangsdame führte Samantha und Robert in die oberste Etage, wo sie vom erstaunlich jungen, sportlich gekleideten CEO und einem glatzköpfigen, drahtigen älteren Herrn mit kantigem Gesicht und makellos sitzendem Zweireiher im Verwaltungsratssaal erwartet wurden. Der Raum war das pure Gegenteil des prunkvollen Sitzungszimmers im Department of Health, mit seinem schlichten, funktionalen, doch offensichtlich kostspieligen Mobiliar und der zeitgenössischen Kunst an der Wand gegenüber der durchgehenden, raumhohen, golden getönten Glasfront. Am Kopfende des großen, glänzenden Tischs standen Gläser, silberne Kännchen mit heißem Kaffee und Tee, frisch gepresster Orangensaft, Mineralwasser und Körbchen voller einladend duftender Croissants bereit. Eine effiziente Organisation haben sie , musste Samantha neidlos eingestehen.
»Ich freue mich, dass Sie so schnell hier sein konnten, Mrs. Herbert, Professor Barnard«, begrüßte der CEO seine Besucher freundlich. »Ich habe mir erlaubt, den Leiter unserer Rechtsabteilung, Maître Fauchon, zu unserer informellen Besprechung einzuladen. Ich bin Alain Pasquier, CEO von BiosynQ.«
»Wir haben zu danken, Monsieur Pasquier. Zum Glück sind die Reisebeschränkungen wieder aufgehoben worden«, antwortete Samantha höflich, als sie sich setzten. Sie hatten sich gut auf diese wichtige Sitzung vorbereitet, denn sie rechneten mit heftigem Widerstand und der entschiedenen Ablehnung jeder Verantwortung des Konzerns. Beide wussten aus Erfahrung, dass die Manager dieser Kategorie normalerweise Meister in der Anwendung von Nebelgranaten waren und zu ihrer Verteidigung gerne die eine oder andere Stinkbombe einsetzten. Die erste Überraschung war daher diese
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