Nebenwirkungen (German Edition)
Gens. Das war also das Geheimnis. So groß ihre Freude über diese entscheidende Erkenntnis auch war, so wusste sie doch, dass nun harte Knochenarbeit bevorstand. Sie kannte die ideale Genkombination, und diese musste nun synthetisch hergestellt werden. Ihr Arbeitstag war erst fertig, wenn sie wenigstens ansatzweise festgelegt hatte, wie das zu bewerkstelligen war. Eine schwierige Aufgabe, denn sie wusste, dass die derzeitige Ausrüstung an ihrem Institut für diese komplexe Synthese nicht geeignet war. Vielleicht könnten sie es schaffen, doch sicher nicht in der gewünschten kurzen Zeit und mit der nötigen Präzision. Sie musste nach Alternativen suchen.
Spät in dieser Nacht saß sie noch immer am Schreibtisch und starrte in ihren Bildschirm. Erst als sie zum dritten oder vierten Mal den gleichen Abschnitt im angezeigten Dokument zu lesen versuchte, gestand sie sich endlich ein, dass sie aufhören musste. Sie schaltete den PC ab, packte Mantel und Tasche und verließ das Büro, das sie spätestens um halb acht Uhr am nächsten Morgen wieder betreten würde. Als eine der letzten Handlungen am Ende des langen Arbeitstages wollte sie wie üblich ihr Handy ausschalten; keine Anrufe nach Arbeitsschluss. Zu ihrer Überraschung war der Apparat jedoch nicht eingeschaltet. Mist , dachte sie ärgerlich und schaltete das Gerät ein, denn sie musste wissen, welche Anrufe sie verpasst hatte. Tagfertigkeit war eine ihrer eisernen Regeln, also hörte sie die Mailbox ab, während sie die Treppe hinunter eilte. Drei Anrufe, und alle vom gleichen Anschluss. Kyle Randolph, der smarte Journalist, wollte sie unbedingt sprechen. Sie schmunzelte, als sie an seine vergeblichen Versuche dachte, mit ihr auszugehen. Wenn es nicht schon zu spät gewesen wäre, hätte sie am liebsten gleich zurückgerufen, obwohl sie hundemüde war. Irgendwie mochte sie den Kerl, und irgendwie hatte sie heute einen guten Tag.
Südafrika, Spital Derdepoort
»Um zwölf Uhr bist du wieder hier«, schärfte die Krankenschwester Nyack ein, als er das Zimmer verließ, um mit seinen neuen Freunden zu spielen. Seit sie seinen Kopfverband abgenommen hatten und seine Brandwunden einigermaßen verheilt waren, hielt ihn nichts mehr im Krankenzimmer.
»Und im Haus wird nicht herumgerannt«, rief ihm die Schwester nach, als er flugs hinaus rannte und die Tür hinter sich zuschlug. Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. Eigentlich war sie ganz froh, dass Nyack sich nun eine Weile selbst beschäftigte. Dieser Junge hatte eine unglaubliche Energie, die nur noch durch seine Wissbegierde übertroffen wurde. Alles wollte er genau erklärt haben. Was immer sie tat, er beobachtete sie ganz genau und löcherte sie mit seinen Fragen. Man konnte meinen, der Kleine wäre ein Praktikant, der sich auf seine Prüfung vorbereitete, so war ihr der aufgeweckte Junge in den letzten zwei Wochen richtig ans Herz gewachsen. Eigentlich schade, dass er bald nachhause durfte. Heute Nachmittag würde sein Gipsverband entfernt, dann konnte man ihn entlassen.
Nyack stürmte ins Spielzimmer, wo ihn seine drei Kameraden schon ungeduldig erwarteten. Er war der Älteste und das bedeutete natürlich, dass er gewisse Verpflichtungen hatte. Als Chef war er es, der letztlich bestimmte, was zu tun war, auch wenn die Vorschläge der anderen drei gnädig angehört wurden. Er nahm die Karten des Memory-Spiels aus dem Schrank, mischte sie und legte sie verdeckt auf den Boden. Sie liebten dieses Gedächtnisspiel nicht zuletzt wegen der wunderschönen farbigen Bilder, die sie aufdecken konnten. Trotzdem begann sie das Kartenspiel nach einiger Zeit zu langweilen. Ihr Bewegungsdrang hielt sie nicht länger in diesem Zimmer.
»Spielen wir Verstecken«, schlug Nyack leise vor, denn eigentlich war es verboten. Umso beliebter war das Spiel bei den Jungen. Sie losten aus, wer die anderen suchen musste, und es traf Nyack. Er zählte langsam bis zehn, während seine Spielkameraden davonsausten. Da er wusste, dass die Toiletten in der Eingangshalle ein beliebtes Versteck waren, rannte er die Treppe hinunter, bog um die Ecke des Korridors in den Eingangsbereich und zuckte plötzlich wie vom Blitz getroffen zurück. Zu spät, der weißhaarige Riese schien ihn schon gesehen zu haben. Hatte er ihn erkannt? Jedenfalls hörte Nyack seine Schritte rasch näher kommen. In wilder Panik schaute er sich um, doch es war niemand da, der ihm helfen konnte. Die Treppe hinauf konnte er nicht, da hätte ihn sein Verfolger sofort
Weitere Kostenlose Bücher