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Nebenwirkungen (German Edition)

Nebenwirkungen (German Edition)

Titel: Nebenwirkungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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Verfahrens hatte sie es geschafft, den bisher unerklärlichen Verlust des synthetischen Gens nachzuvollziehen. So interpretierte sie zumindest das Resultat der letzten Untersuchungen an ihrer Anophelesvariante. Die Proben aus Botswana benutzte sie nun zu Vergleichstests. Die hochwertigen Instrumente des Labors ermöglichten eine ungleich genauere Analyse als die vergleichsweise primitiven Geräte ihrer Mitarbeiter in Botswana. Hier stand ihr die gesamte Palette eines modernen Forschungslabors zur Verfügung.
    Mit Hilfe ihrer Studenten hatte sie in den letzten Wochen unzählige Varianten durch den Hochgeschwindigkeits-Genom-Sequenzer analysieren lassen. Nicht nur die lineare Abfolge der Basenpaare, also der eigentliche genetische Code, sondern auch die räumliche Struktur jeder Variante war katalogisiert und ausgewertet worden. Sie verfügte nun wohl über die umfangreichste genetische Datenbank der Anophelesmücke, die überhaupt existierte. Da sie genau wusste, welchen Bereich der Erbmasse sie detailliert untersuchen musste, ließ sie den Sequenzer die neuen Proben nur in einem kleinen Teilbereich des Genoms auflösen. Nach einer guten Stunde schaute sie gebannt auf den Bildschirm, auf dem sich langsam die dreidimensionale Molekülstruktur des kritischen Bereichs der Probe aufbaute. Ein zweiter Bildschirm zeigte eine grafische Übersicht über eine Auswahl der in ihrer Datenbank gespeicherten Genvarianten. Sobald das Bild der Probe vollständig gerechnet war, begann die Software automatisch, die neue Struktur mit den in der Datenbank gespeicherten Varianten zu vergleichen, ähnlich wie ein Polizeicomputer Fingerabdrücke abgleichen würde.
    »Ja, ja, ja. Wusste ich's doch!«, rief sie aus und sprang auf, als das erlösende Signal ertönte und der zweite Bildschirm die exakt mit der Probe übereinstimmende Genvariante aus der Datenbank groß anzeigte: Variante Nummer B110. Da sie wusste, wie diese Vergleichsvariante entstanden war, konnte sie jetzt genau nachvollziehen, wie das in Botswana eingesetzte synthetische Gen allmählich seine Wirkung verlor. In ihrem Forschungsbereich war diese Erkenntnis schon die halbe Lösung des Problems. Enorme Erleichterung und Befriedigung erfüllte sie, auch wenn sie ihr Ziel noch lange nicht erreicht hatte. Endlich hatte sie eine gute Nachricht für ihre Leute in Botswana. Der Ton war in den letzten paar Telefonkonferenzen zunehmend gereizter geworden. Paul und Katie standen unter großem Druck, und das konnte sie gut verstehen. Sie druckte die nötigen Dokumente aus und machte sich auf den Rückweg in ihr Büro. Jetzt war Kopfarbeit angesagt. Sie musste die Genvarianten finden und analysieren, die ebenfalls den Plasmodienzyklus unterbrachen, ohne ihre Wirkung zu verlieren.
    In mühsamer Kleinarbeit durchforstete sie die Datenbank nach Varianten, die zu B110 kompatibel waren, die also ebenfalls zur Malariabekämpfung taugten. Inzwischen war es draußen dunkel geworden. Sie war wohl wie so oft in letzter Zeit die letzte im Haus, die noch arbeitete, doch sie bemerkte es nicht, ebenso wie sie keinerlei Hunger verspürte, obwohl sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Die Anzahl kompatibler Varianten war immer noch stattlich, sodass Heike gute Chancen sah, dass dieses Material ausreichte, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Eine seltsame Ruhelosigkeit erfüllte sie unvermittelt, und sie kannte diesen Zustand freudiger Erregung, in dem sie die Lösung eines Problems förmlich fühlen konnte. Die nächste Arbeit war, die Entwicklung der verbliebenen Genvarianten über mehrere Generationen zu vergleichen. Wie sie nach kurzer Zeit feststellen konnte, gab es hier durchaus große Unterschiede. Glücklicherweise hatten ihre Assistenten und Studenten ganze Arbeit geleistet und jede Generation vollständig protokolliert. So war sie in der Lage, auch Veränderungen in der Umgebung des synthetischen Gens festzustellen.
    »Das ist es!«, rief sie plötzlich aus. Seit über einer Stunde lehnte sie sich erstmals in ihrem Sessel zurück und entspannte sich. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Schläfen. Die Stunden angestrengter Geistesarbeit in nahezu regloser Haltung vor dem Bildschirm rächten sich nun, doch Heike war glücklich. Sie war überzeugt, die Ursache der Fehlentwicklung gefunden zu haben. Ein winziger Unterschied in einem Gen, das nach aktueller Lehrmeinung für die Zeitsteuerung im Organismus zuständig war, bewirkte die beschleunigte Mutation des synthetischen

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