Nebenwirkungen (German Edition)
jedes zweiten Hauses schien sich ein Restaurant oder eine Bar eingenistet zu haben. Sie setzten sich schließlich an einen Tisch in einem gemütlichen Innenhof. Was folgte verschlug selbst Samantha für kurze Zeit die Sprache. Vom jungen Wein über den köstlichen Fisch bis zu den phantasievollen Dessertkreationen war alles von erlesener Qualität und offensichtlich mit großer Sorgfalt zubereitet. Schade, dass sie nur eine Nacht hier verbringen konnten, dachte sie.
Kyle schien ähnlich beeindruckt zu sein. »Ausgezeichnet. Du hattest wieder einmal den richtigen Riecher«, sagte er anerkennend. Trotz seines Hangs zu Fastfood und Kneipenimbiss erkannte und schätzte er gutes Essen, wenn es ihm aufgetischt wurde. Er wusste, dass seine Kollegin ihm weit überlegen war, wenn es um Fragen der Lebensqualität ging, daher hatte er ihr widerspruchslos die Wahl des Restaurants überlassen. Allerdings wollte er nicht ganz auf seine Welt verzichten und schlug vor, ein paar Schritte durch die Gassen zu bummeln und sich einen Schlummertrunk in einer der vielen Studentenkneipen zu gönnen.
»Schnookeloch; tönt nicht eben einladend, soll aber ein tolles Lokal sein und überdies mehr als sechshundert Jahre alt«, meinte Kyle, als sie in die laute, enge Gaststube eintraten. Selbst an diesem Donnerstagabend fanden sie nur mit Mühe Platz an einem der runden Tische vor der mit Bildern übersäten dunklen Holzwand. Dicht gedrängt saßen die Gäste vor ihrem Bier, ein bunt gemischtes Volk von jungen Leuten, die meisten wohl Studenten, und Touristen aus aller Welt.
So gut es ging unterhielten sich die beiden Journalisten. Samantha wollte unbedingt noch kurz über den Besuch bei Heike Wolff am nächsten Morgen sprechen und musste ihren Kollegen gelegentlich geradezu anschreien, um sich Gehör zu verschaffen. Neben ihr saß ein junger Mann, der tatsächlich die Mütze einer Studentenverbindung trug – ein Bild aus vergangenen Tagen. Er hatte offenbar mitbekommen, worüber Samantha mit Kyle sprach und wandte sich plötzlich mit etwas unbeholfenem Englisch an die beiden.
»Heike Wolff? Ich höre, sie wollen zu Professor Wolff? Da wünsche ich Ihnen viel Erfolg.«
Kyle schaute ihn verblüfft an. »Wie meinen Sie das? Kennen Sie sie?«
»Und wie. Ich habe meine Diplomarbeit unter ihrer Fuchtel geschrieben, und ich kann Ihnen sagen, es war keine schöne Zeit. Ich bin den Göttern dankbar, dass mich Professor Martens zur Dissertation zugelassen hat. Heike kann ganz schön gemein sein.«
Samantha grinste. Das hörte sich richtig gut an. Sie würde sich bestens verstehen mit diesem Drachen, dachte sie. »Was verstehen Sie unter gemein?«, wollte sie wissen.
»Arschkalt, herrschsüchtig, karrieregeil und brutal ehrlich. Genügt Ihnen das?«
»Die geborene Journalistin«, lachte Kyle und weidete sich an Samanthas stechendem Blick. »Ihre Arbeit hat der Frau Professorin wohl nicht sehr gefallen?«
»Die zweite ließ sie durch gehen. Ich musste den Bettel praktisch zweimal schreiben. Wenn sie nichts mehr am Inhalt aussetzen konnte, war sicher die Form falsch oder eine Formulierung zu unpräzis – übrigens eines ihrer Lieblingswörter. Ich muss allerdings gestehen, dass sie meist recht hatte. Sie ist einfach Spitze, aber leider weiß sie es auch.«
Samantha unterhielt sich köstlich. Der junge Mann gefiel ihr, und sie schaute der Besprechung mit Heike Wolff mit großem Interesse entgegen.
Köln
Heike Wolff hatte für ihre Begriffe entschieden zu lange auf diese Besprechung warten müssen. Doch sie musste ihren Ärger für einmal unterdrücken, auch wenn ihr das ausgesprochen schwer fiel. Ihre Mission hier in der deutschen Niederlassung des Biochemie-Multis ›BiosynQ‹ war zu wichtig. Sie hatte die Verbindung zu diesem Unternehmen über ihre Bekannte Alexandra Herting hergestellt. Alexandra und BiosynQ waren ihr am letzten Biologenkongress in Paris aufgefallen. Sie hoffte, von der weltweiten Präsenz und natürlich der Finanzkraft dieses Unternehmens für ihr ambitiöses Projekt zu profitieren.
»Grüß dich, Heike. Schön, dich so bald wieder zu sehen«, begrüßte sie Alexandra erfreut, als sie mit einem Kollegen das Sitzungszimmer betrat. Heike stockte kurz der Atem. Noch nie hatte sie einen derart großen, kräftigen Mann gesehen, und obwohl er in ihrem Alter sein mochte, um die vierzig vielleicht, war sein Haar schlohweiß.
»Ich möchte dir Nils Nolte vorstellen. Er ist für die Sicherheit unserer Afrikaeinsätze
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