Nebenwirkungen (German Edition)
der Spur, das war Samantha klar, und normalerweise hätte sie das in Hochstimmung versetzt, doch die unermessliche Tragweite des Dramas, das sich hier anbahnte, lähmte sie. Kraftlos lehnte sie sich zurück, schloss die Augen und schwieg eine lange Zeit, bis Bastien ihre trübsinnigen Gedanken unterbrach.
»Sam?«, fragte er vorsichtig. »Alles O. K.?« Sie nickte abwesend, und er fuhr fort: »Ich denke, du solltest mit Professor Barnard in Cambridge sprechen. Er scheint an den gleichen Symptomen gelitten zu haben, ist aber wieder gesund, und ich habe keinen Bluttest von ihm gefunden.« Sie musste ihm zustimmen. Tatsächlich schien die Krankheit nicht immer tödlich zu verlaufen. Auch die Heidelberger Biologen und dieser schwarze Junge in Botswana waren nicht erkrankt, ein schwacher Hoffnungsschimmer. Was sie jedoch sogleich belebte und seltsam beruhigte, war der Gedanke an ein Gespräch mit dem beeindruckenden Professor.
Sie ging in ihr Büro zurück, suchte Robert Barnards Nummer und rief ihn an. Nachdem sie ihren Bericht beendet hatte, sagte er lange kein Wort, bis er schließlich den Verdacht aussprach, der ihr auch schon kurz durch den Kopf geschossen war.
»Meinen Sie, dass Kyle und ich bereits andere Leute angesteckt haben?«
»Ich fürchte, ausgeschlossen ist es nicht. Aber machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Sie haben die Krankheit überwunden, und das lässt hoffen.«
»Ein schwacher Trost, wenn die Medizin so völlig im Dunkeln tappt«, brummte er ärgerlich. »Wissen Sie was, faxen Sie mir den Laborbericht. Ich kann hier nicht untätig herumsitzen. Ich werde morgen meinen Kollegen Peter, den Biologen an der Universität, bitten, mein Blut nochmals gründlich zu untersuchen, und die Erkenntnisse aus Heidelberg werden ihn dabei unterstützen. Wenn die Leute dort nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken wollen, müssen wir uns eben selbst helfen. Cambridge ist zwar nicht die absolute Spitzenadresse, wenn es um synthetische Biologie geht, da wäre eher Oxford angesagt, aber wir haben immerhin die letzte Regatta klar gewonnen. Das stimmt mich zuversichtlich.« Samantha lachte erleichtert. Roberts Sarkasmus gefiel ihr; genau die richtige Medizin in dieser Situation.
Cambridge
Der Blick durch das Mikroskop war ein Schock für Peter Thornton. Er bekam eine Gänsehaut, als er die eindeutigen Farbflecke der zweiten Probe betrachtete. Der PCR Test der ersten Probe mit Roberts Blut hatte ihn nicht überrascht, denn er wies lediglich den gleichen synthetischen Vektor in Roberts Genen nach, der auch in Kyles Blut gefunden wurde. Er hatte keine weitere Anomalie entdeckt. Um dem Rätsel des unterschiedlichen Krankheitsverlaufs auf die Spur zu kommen, hatte er einen Abschnitt aus Roberts Erbmaterial, der die synthetische Sequenz enthielt, in eine seiner eigenen Hautzellen verpflanzt, sie vervielfältigt und die Zellkolonie verschiedenen Tests unterworfen. Die Probe Nummer zwei unter dem Mikroskop war eine seiner Zellkolonien, die er mit Prionprotein, PrP, angereichert hatte. Mit dieser Methode ließen sich fehlerfrei geringste Spuren von infektiösem PrPSc 4 nachweisen, den bösartigen Prionen, die das Gehirn angriffen. Solche Eiweißbruchstücke waren für die Creutzfeldt-Jacob Krankheit beim Menschen und BSE bei Rindern verantwortlich. Die Farbflecke, die Peter so schockiert hatten, bewiesen, dass der verpflanzte Gen-Abschnitt im Zusammenspiel mit dem restlichen Erbmaterial eine Variante von PrPSc produzierte. Bei Roberts Blut war das Resultat harmlos, doch bei seinen eigenen Genen hatte die Sequenz verheerende Folgen. Nun verstand er auch, warum dieser Kyle plötzlich mitten auf der Straße zusammengebrochen war. Die infektiösen Prionen konnten sehr wohl die Bewegungskoordination im Kleinhirn angegriffen haben, sodass er die Kontrolle über die Beine verlor. Es war höchste Zeit, Robert anzurufen.
»Das heißt, ich müsste jetzt eigentlich tot sein, sagst Du?«, fragte Robert nach langer beklemmender Pause, als Peter ihm das Ergebnis seiner Untersuchungen geschildert hatte.
»Es gibt sicher eine wissenschaftliche Erklärung für dein Glück, aber ich kenne sie nicht«, antwortete Peter nachdenklich.
»Besteht die Gefahr, dass ich andere Leute damit anstecke?«
»Kaum, bisher habe ich keine Hinweise darauf gefunden. Was nicht bedeutet, dass die Krankheit grundsätzlich nicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Im Gegenteil, nach den Unterlagen aus Heidelberg fürchte ich, dass sie
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